Verfuehrung in Florenz
Arroganz zu erkennen. Und dieser Raphael war alles andere als das Monster, für das sie ihn gehalten hatte.
Plötzlich glühte eine Idee wie ein Funke in ihr auf und vertrieb ihre düstere Stimmung. Hastig entwickelte sie einen Plan.
Um herauszufinden, ob Raphael wirklich eines Verbrechens fähig war, musste sie erneut seine verborgene Seite sehen und sie genauer untersuchen. Sie musste mit ihm flirten, ihn verführen und Stein für Stein seine Schutzmauer abtragen, bis der Mann vor ihr stand, von dem sie gestern Abend einen flüchtigen Eindruck erhalten hatte. Erst wenn die Fassade fiel, konnte sie beurteilen, wer Raphael Di Lazaro wirklich war.
Nachdenklich ging sie zur Tasche und holte aus dem Portemonnaie ein Foto von ihr und Ellie. Auf dem Bild saß sie nur da und lächelte. Ellie stand hinter ihr, legte ihr die Arme um die Schultern und lachte aus vollstem Herzen.
Während sie das Foto betrachtete, wurde ihr erneut bewusst, wie groß ihre Ähnlichkeit mit Ellie war. Aber sie begriff auch, wie unterschiedlich sie beide an das Leben herangegangen waren. Sie selbst hatte sich stets etwas auf ihre Vernunft und ihr Pflichtbewusstsein eingebildet. Und sie hatte Ellies unbekümmerte Art und ihre grenzenlose Lebenslust missbilligt. Schlagartig begriff sie, wie engstirnig sie gewesen war. Höchste Zeit, etwas gefährli cher zu leben!
Damit bekam „Operation Verführung“ grünes Licht – komme da, was da wolle.
Eve fröstelte. Zum ersten Mal seit der Abreise aus England hatte sie richtig Angst – Angst vor dem, was sie möglicherweise herausfinden würde, aber vor allem Angst, dabei etwas zu verlieren.
Raphael stellte die Tasche ab und zögerte, ehe er an Eves Tür klopfte.
Eigentlich hatte er Fiora mit Eves Sachen hochschicken wollen, doch die Haushälterin war in der Küche beschäftigt und steckte bis zu den Ellbogen in Mehl. Bildete er es sich nur ein, oder hatten ihre dunklen Augen verschmitzt gefunkelt, als sie ihn bat, Eve ein großes Glas geeiste Holunderblütenlimonade zu bringen und ihr zu sagen, dass es bald Zeit fürs Abendessen war?
Es wäre nicht nett von ihm gewesen, sich zu weigern. Schließlich hatte er Eve hier untergebracht.
Er legte das Ohr an die massive Tür und klopfte erneut. Diesmal hörte er gedämpft Eves Stimme. Er konnte sie zwar nicht verstehen, aber es klang nicht so, als schickte sie ihn weg.
Beim Eintreten fing er sofort den sanft benebelnden blumigen Duft des Lazaro – Parfums auf. Aus den verborgenen Lautsprechern der Musikanlage erklang die Arie aus „Madame Butterfly“, zu deren Klängen Eve bei der Retrospektive über den Laufsteg geschritten war. Das Zimmer war jedoch leer.
Durch die offene Badezimmertür hörte Raphael Wasser plätschern.
Eve lag in der Badewanne.
Eve ließ sich mit geschlossenen Augen in den Schaum sinken und spürte, wie der ganze Stress des Tages von ihr abfiel.
Durch die offene Terrassentür konnte sie bereits die ersten Sterne am violett schimmernden Himmel erkennen. Nicht der kleinste Lufthauch ließ die Kerzen in den Barockkandelabern flackern.
Das Badezimmer mit der tiefen versenkten Badewanne in der Mitte des Fußbodens war bei Weitem das schönste, das sie jemals gesehen hatte. Das Gefühl von purem Luxus wurde noch durch die Musikanlage erhöht, die sie zusammen mit einer Fernbedienung und einer umfangreichen CD-Sammlung in einem der Schlafzimmerschränke entdeckt hatte.
Während sie bis zum Kinn in duftendem Schaum lag, hatte sie ganz Florenz vor sich. Von hier aus sah sie die Kuppel der Kathedrale, die verschachtelten Dächer der alten Häuser entlang der engen Gassen und die funkelnden Lichter der Piazza della Signoria. Genüsslich legte sie ein nasses Bein über den Wannenrand und gab sich der Schönheit der Musik und dem magischen Ausblick hin.
Ihre Glieder waren vom heißen Wasser warm und entspannt, und bei dem Gedanken an ihren Plan empfand sie tief in ihrem Innern ein verlangendes Ziehen. Während sie mit Madame Butterfly mitsang, erinnerte sie sich daran, wie Raphael sie betrachtet hatte, als sie auf dem Laufsteg auf ihn zuschritt. Ihr ganzer Körper begann zu pulsieren. Sie schloss die Augen, ließ den Kopf gegen den Rand der Wanne sinken, gab sich völlig der Musik hin, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sang aus voller Brust mit.
Raphael zögerte. Ich sollte gehen.
Und zwar ohne Umschweife. Aber …
Geradezu magisch wurde er von Eves Stimme angezogen, von ihrem süßen Klang und der echten Inbrunst, die
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