Verfuehrung in Florenz
plötzlich trotzdem wie ein Scheusal? Weil er den Kuss genossen hatte? Das einundzwanzigste Jahrhundert hatte längst begonnen. Er konnte doch wohl eine Frau küssen, ohne sich dabei zu fühlen, als hätte er eine unverzeihliche Sünde begangen! Außerdem hatte er nur zu ihrem Besten gehandelt.
Wirklich nur zu ihrem Besten? Vielleicht stimmte das nicht ganz. Er hatte sie geküsst, weil keine Zeit für lange Erklärungen blieb, aber auch weil ihre Augen ihn an die Glut eines Vulkans erinnerten und er ihrem Feuer nicht widerstehen konnte. Und genau das ärgerte ihn. Er begehrte Eve, und dieses Begehren überstieg seine Ablehnung um ein Vielfaches.
Eve sah unauffällig in ihre Tasche. Wenigstens hatte sie das Handy bei sich – und das rosa Taschenmesser, ein Geburtstagsgeschenk von Lou. Eigentlich war es als Scherz gedacht gewesen, weil es alle überlebensnotwendigen Werkzeuge enthielt – eine Nagelfeile, einen winzigen Spiegel und vor allem einen Korkenzieher.
Es gab auch eine Messerklinge, aber das Scharnier war – anders als das des Korkenziehers – sehr stramm, weil es nie benutzt wurde. Eve bezweifelte sogar, dass sie die Klinge bei Gefahr schnell genug ausklappen könnte. Aber wenn sich im Notfall das Messer nicht öffnen ließ, musste sie ihn eben verführen, um ihn abzulenken und …
Erneut stieg Verlangen in ihr hoch. Rasch wandte sie das Gesicht ab und blickte aus dem Seitenfenster.
„Wo wohnen Sie?“, fragte Raphael knapp.
„Nirgendwo, da es bereits nach zwölf Uhr ist“, erwiderte sie und zügelte energisch ihre Fantasie. „Ich habe aus dem Hotel ausgecheckt.“
„Und wohin wollten Sie jetzt?“
„Luca hat mir eine Unterkunft angeboten – ganz unverbindlich. Und hätte es vorhin auf der Piazza nicht ausgesehen, als wären wir …“, sie wollte „verliebt“ sagen, hielt sich jedoch im letzten Moment zurück, „… zusammen, würde ich sein Angebot annehmen.“
Ganz unverbindlich? Das gab es nicht bei Luca. Wie konnte diese Frau nur so vertrauensselig sein? Gereizt strich Raphael sich das Haar aus der Stirn und warf ihr noch einen Blick zu. Wie sie da neben ihm saß und die goldfarbene Seidenkordel der Lazaro – Geschenktasche um die schlanken Finger wickelte, wirkte sie unbeschreiblich jung und erschreckend verwundbar. Er durfte sich gar nicht vorstellen, dass sie allein war oder sich von Luca in dessen Lasterhöhle locken ließ.
„Sie können bei mir wohnen“, bot er mit gepresster Stimme an und hätte sich nicht gewundert, wenn sie abgelehnt hätte. Es hatte wenig einladend geklungen.
Eve schwieg einen Moment, ehe sie ihn ansah und tapfer lächelte.
„Meinen Sie das ernst? Danke.“
Es war leicht zu erkennen, welches der schmalen Häuser in der Innenstadt von Florenz Raphael gehörte: das, vor dem sich die Gruppe Paparazzi versammelt hatte.
„Verdammt“, murmelte Raphael leise im Vorbeifahren. „Schnell, ducken Sie sich!“
Ein Reporter entdeckte den Wagen, stieß einen Schrei aus und nahm die Verfolgung auf. Eve erhaschte flüchtig einen Blick auf die Blondine von der Pressekonferenz, ehe Raphael ihr den Kopf nach unten drückte.
Unter der Wange spürte sie seinen harten Schenkel und das Spiel der Muskeln beim Bremsen und Gas geben. Sie lag unter seinem Arm, sein Duft stieg ihr in die Nase, und die Welt außerhalb des Wagens stand auf dem Kopf.
„Was machen Sie da?“
„Wenn Sie Ihr Foto nicht in allen Klatschblättern sehen wollen, bleiben Sie unten“, zischte Raphael. „Einer dieser Mistkerle verfolgt uns auf seinem Motorrad.“
Eve schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Nähe. Überraschenderweise fühlte sie sich sicher und beschützt wie früher als Kind, wenn sie und Ellie sich auf dem Weg von einem Konzert aneinanderkuschelten, bei dem ihre Mutter als Sängerin aufgetreten war. Der Jeansstoff an ihrer Wange fühlte sich angenehm weich an, die Bewegungen des Wagens beruhigten sie, und dieses Getränk mit Passionsfruchtsaft hatte sie ziemlich schläfrig gemacht …
Während Raphael sich einen Weg durch das Labyrinth der schmalen Altstadtstraßen rings um die Piazza della Signoria suchte, versuchte er, sich auf den motorisierten Paparazzo und nicht auf den goldblonden Kopf in seinem Schoß zu konzentrieren.
Unmöglich.
Eves warmer Atem strich über seinen Schenkel. Sie musste nur ein wenig höher rutschen, und …
Aufhören, befahl er sich, packte das Lenkrad fester und versuchte verzweifelt, an irgendetwas schrecklich Langweiliges und
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