Verfuehrung unterm Silbermond
schon immer gewollt hatte. Ja, sie wollte ihn … aber welche Frau wollte ihn nicht?
Raffaele begehrte sie körperlich ebenfalls, das hatte er überdeutlich gemacht. Gestern Abend im dunklen Auto, aber auch heute Morgen in der eigentlich harmlosen Atmosphäre der Küche hatte sie das Funkeln in seinen Augen bemerkt. Und das war viel bedrohlicher. Es war verständlich, wenn man in Festtagslaune nach ein paar Gläsern Champagner leichtsinnig wurde, aber die gleiche Sehnsucht auch bei hellem, nüchternem Tageslicht zu verspüren … So etwas konnte sehr leicht falsch verstanden werden, vor allem von jemandem wie ihr.
Doch sie wusste, die Lust als solche hatte keinerlei Bedeutung. Für Raffaele war sie Teil seiner schnelllebigen Welt. Bei seiner Energie und seiner Sinnlichkeit musste Sex ziemlich weit oben auf seiner Prioritätenliste stehen, gehörte zu seinem Leben und war so natürlich für ihn wie das Atmen. Aber Natasha würde unendlich verletzt werden, wenn sie nicht vorsichtig war. Weil sie so viel mehr für ihn empfand.
In einer Seitenstraße, die von der geschäftigen Allee abführte, lag ein kleiner Zeitungsladen. Es war ein wunderbar altmodischer Tante-Emma-Laden, doch Natasha fragte sich unwillkürlich, wie lange er der Konkurrenz der großen Supermärkte, die überall entstanden, noch standhalten konnte.
„Ganz schön windig da draußen, was?“, begrüßte der alte Ladenbesitzer Natasha, als sie eintrat. „Der Winter kommt bald.“
„Oh, sagen Sie das nicht.“
Natasha kaufte Briefmarken und zwei Zeitschriften, aber erst als sie fast zu Hause war, schaute sie in die Zeitschriften hinein. Es ist ja gar nicht dein Zuhause, spottete eine kleine Stimme in ihrem Kopf, als sie durch das Tor in den Garten ging, es ist Raffaeles Zuhause. Der Wind riss an den Seiten der Zeitschrift, und sie überlegte, ob es wohl an der angeblichen Verlobung lag, dass ihr plötzlich solche Gedanken in den Kopf schossen.
Ein Schauer überkam sie. Diese Abmachung hatte alles verändert. Nichts wird je wieder so sein wie früher.
Sie blätterte durch die erste Zeitschrift und stieß sofort auf das Foto. Es zeigte ihre Ankunft vor dem Hotel, wie Raffaele und Natasha auf dem roten Teppich dem Hoteleingang zustrebten. Raffaeles Hand lag an ihrem Ellbogen, er hatte den Kopf zu ihr gebeugt. Ja, da hatte er sie gefragt, ob alles in Ordnung mit ihr sei. Seine Miene wirkte eher besorgt als leidenschaftlich. Doch in einer Welt, in der oberflächlicher Sex und kurze Affären gang und gäbe waren, war es eben genau dieser besorgte Gesichtsausdruck, der die Massen davon überzeugte, dass Raffaele de Ferettis Herz endlich erobert worden war.
Bilder sollten ja angeblich nicht lügen, aber ganz so einfach war es auch wieder nicht. Dieses Foto zeigte eine echte Emotion, in einem echten Moment. Nur … der Bericht nutzte diesen einzelnen Moment für seine eigenen Zwecke.
Natashas Hände zitterten, während sie die Zeitschrift hielt und den Artikel las.
Nachdem man ihn immer wieder mit den reichsten und schönsten Erbinnen Europas sehen konnte, hat der ita lienische Milliardär und Playboy Raffaele de Feretti die ganze Welt damit überrascht, indem er die Verlobung mit seiner Haushälterin Natasha Phillips bekannt gab.
Miss Phillips, 25 und alleinerziehende Mutter, nutzte die Gelegenheit auf dem gestrigen Wohltätigkeitsball, der Welt ihren Verlobungsring zu präsentieren. Wenn Diamanten die besten Freunde einer Frau sind, dann hat Miss Phillips da aber einen wahrhaft teuren Gefährten!
Schon ein seltsames Gefühl, über sich selbst in der dritten Person zu lesen. Und noch seltsamer, ein Foto von sich in einer überregionalen Zeitung zu sehen. Sie in dem teuren Abendkleid, mit der eleganten Frisur … Natasha hatte das Gefühl, eine Fremde anzusehen.
Doch wenn sie genauer hinschaute, konnte sie stille Bewunderung in ihrem Gesicht erkennen. Ob auch andere dieses sanfte Funkeln in ihren Augen sahen? Wenn Raffaele dieses Foto betrachtete, würde er ihr Geheimnis dann erraten? Oder würde er sie nur für eine ausgezeichnete Schauspielerin halten?
Sie musste an seine Bemerkung denken, dass sie und ihr Sohn noch nie getrennt gewesen waren. So, wie er es gesagt hatte, sah er es eher als eine Schwäche denn als Stärke an. Und zum ersten Mal fragte Natasha sich, ob sie Sam vielleicht als Vorwand vorschob, um ihr eigenes Leben nicht wirklich leben zu müssen. War sie etwa eine von diesen Frauen, die ihre Kinder nicht loslassen konnten?
Weitere Kostenlose Bücher