Verfuehrung
Mylord?«
»Gewisse Pläne, die für heute morgen gemacht wurden, sind unerwartet geändert worden, Guppy, aber du kannst versichert sein, daß ich alles unter Kontrolle habe.«
»Natürlich, Mylord«, sagte Guppy würdevoll,
Es würde ihn seine Stellung kosten, wenn er auch nur ein Wort über diese bizarre Szene in der Halle verlieren würde, und das wußte Guppy. Es war offensichtlich, daß sein Herr einen seiner gefährlich ruhigen Wutanfälle hatte. Es war aber ebenso offensichtlich, daß
Lord Ravenwood die Situation im Griff hatte. Mit einem kurzen, besorgten Blick auf Sophy verschwand Guppy diskret in Richtung Küche.
Julian wandte sich jetzt zu Jane.
»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, Madame, und Eurem Schleier nach zu schließen, wollt Ihr wohl Eure Identität geheimhalten. Aber wer immer Ihr auch seid, seid versichert, ich stehe auf ewig in Eurer Schuld. Ihr seid mir anscheinend die Einzige, die bei dieser ganzen Geschichte etwas Vernunft bewahrt hat.«
»Ich bin bekannt für meine Vernunft, Mylord«, sagt Jane traurig. »Ich fürchte sogar, einige meiner Freunde finden mich deshalb sehr langweilig.«
»Wenn Eure Freunde einen Funken Verstand hätten, würden sie Euch dafür um so mehr schätzen. Ich wünsche Euch noch einen guten Tag, Madame. Draußen wartet ein Junge mit einer geschlossenen Kutsche, der Euch nach Hause begleiten wird. Euer Pferd ist an die Kutsche gebunden. Wollt Ihr noch zusätzlichen Begleitschutz? Ich könnte Euch einen Lakaien mitgeben.«
»Nein, die Kutsche und der Junge genügen.« Jane warf einen kurzen Blick zu Sophy, die ratlos die Achseln zuckte. »Danke, Mylord. Ich hoffe, das ist das Ende dieser ganzen Affäre.«
»Dessen könnt Ihr sicher sein. Und ich hoffe, ich kann mich auf Eure Diskretion verlassen.«
»Das könnt Ihr, Mylord.«
Julian brachte sie zur Tür und half ihr in die kleine Kutsche. Dann schritt er die Treppe hoch in die Halle. Die große Tür schloß sich leise hinter ihm. Er blieb stehen und sah Sophy lange an.
Sophy wagte nicht zu atmen, wartete auf die Axt des Henkers.
»Geht nach oben und zieht Euch um, Madame. Für heute habt Ihr genug Männerspiele gespielt. Wir werden die Angelegenheit um zehn Uhr in der Bibliothek besprechen.«
»Es gibt nichts zu besprechen, Mylord«, sagte sie rasch. »Ihr wißt doch bereits alles.«
Julians Smaragdaugen funkelten vor Zorn und einem anderen Gefühl, das Sophy zu ihrem Erstaunen als Erleichterung identifizierte. »Ihr irrt Euch. Es gibt eine Menge zu besprechen. Wenn Ihr nicht Schlag zehn Uhr hier unten erscheint, werde ich Euch holen.«
Elf
»Vielleicht«, sagte Julian eisig gelassen, was unter den gegebenen Umständen wirklich beeindruckend war, »wärest du so gütig, mir diese ganze Sache von Anfang an zu schildern.«
Seine Worte zerschmetterten das ominöse Schweigen, das sich über die Bibliothek gelegt hatte, seit Sophy vor ein paar Minuten vorsichtig durch die Tür gekommen war. Julian hatte reglos hinter seinem wuchtigen Schreibtisch gesessen und hatte sie mit seiner üblichen, undurchschaubaren Miene lange gemustert, bevor er sich bequemte, mit dem zu beginnen, was ohne Zweifel ein höchst unangenehmes Gespräch werden würde.
Sophy holte tief Luft und schob ihr Kinn vor. »Du kennst ja bereits das Wichtigste.«
»Ich weiß, daß du einen der Erpresserbriefe der Featherstone gekriegt hast. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du so gütig wärst, mir zu erklären, warum du ihn mir nicht sofort ausgehändigt hast.«
»Sie hat sich mit ihrer Drohung an mich, nicht an dich gewandt. Ich betrachtete es als Frage der Ehre, darauf zu antworten.«
Julian kniff die Augen zusammen. »Ehre?«
»Wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre, Mylord, hättet Ihr die Sache auch so gehandhabt wie ich. Das könnt Ihr nicht abstreiten.«
»Wenn die Situation umgekehrt wäre?« wiederholte er ratlos. »Wovon, zum Teufel, redest du überhaupt?«
»Ihr versteht mich sehr wohl, da bin ich mir sicher, Mylord.« Sophy merkte, daß sie zwischen Tränen und nackter Wut schwankte. Eine höchst gefährliche Mischung von Gefühlen. »Wenn ein Mann Euch gedroht hätte, die Details einer früheren... Indiskretion meinerseits zu veröffentlichen, hättet Ihr ihn gefordert. Ihr wißt, daß
Ihr genau so gehandelt hättet wie ich. Das könnt Ihr nicht abstreiten.«
»Sophy, das ist doch lächerlich«, sagte Julian barsch. »Das ist doch wohl kaum dieselbe Situation. Wage ja nicht, irgendwelche Parallelen zwischen deinem
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