Vergangene Narben
anderen Ende der Leitung gerade völlig aus. „Oh, das ist voll genial. Ich will sowas auch haben!“
„Naja, du kannst ja vielleicht auch zu dem Ball kommen, und …“
„Das ist eine tolle Idee. Moment, ich frag mal.“ Es knisterte kurz in der Leitung, als wenn sie den Hörer ein Stück vom Ohr weghielt, und dann schrie sie durch die ganze Wohnung: „Mama! Zaira bekommt einen Prinzessinnenball, ihr müsst mich also Freitag in den Hof der Werwölfe fahren!“
Ja, das war Alinas Art zu fragen. Naja, sie hatte es mit ihren Eltern auch ein wenig einfacher, die waren nicht so kontrollsüchtig wie mein Papa.
„Was?!“, rief da eine männliche Stimme zurück, die nur meinem Onkel Tristan gehören könnte. „Wo müssen wir dich hinfahren?“
„Na zu Zaira.“ Jetzt war ihre Stimme wieder leiser. Ihr Vater war wohl in Zimmer gekommen. Und dann wurden ihre Worte richtig einschmeichelnd. „Du könntest mir natürlich auch einfach den Schlüssel für dein Motorrad geben, und mich allein fahren lassen.“
Kurz war ruhe. Dann seufzte er und sagte: „Frag deine Mutter.“
„Yes.“
„Das war keine Einwilligung.“ Keine Ahnung was sie daraufhin tat, aber es entlockte ihrem Vater ein weiteres Seufzend. Wahrscheinlich hatte sie mal wieder ihre Schmollmundtaktik angewandt. „Na schön, ich rede mit deiner Mutter.“
„Danke Papa, du bist der Beste.“
Ich konnte es geradezu vor mir sehen, wie sie strahlte. Alina war schon immer ein Sonnenschein gewesen, seit sie mit drei Jahren von Tante Lucy und Onkel Tristan adoptiert wurde. Und das trotz ihrer schweren Vergangenheit.
„Ich komme“, verkündete sie dann nun wieder ins Telefon.
„Das hab ich gehört. Ich und wahrscheinlich deine ganze Nachbarschaft.“ Vorsichtig ließ ich meine Finger zu dem kleinen Muttermal in Cios Armbeuge wandern, und hielt kurz inne, als er sich plötzlich bewegte. Aber er wachte nicht auf, rutschte nur nähr an mich heran. Der hatte wirklich einen gesunden Schlaf.
„Und dann brauche ich auch ein Ballkleid“, fuhr sie fort, als hätte ich nichts gesagt. „Am besten ich komme einen Tag früher, dann können wir noch in Tenor shoppen gehen. Da gibt es diesen Laden, da wollte ich immer schon mal hin. Ja, das ist ein guter Plan.“ Sie hielt das Telefon wieder von ihrem Mund weg. „Papa! Ich muss schon Donnerstag zu Zaira, weil ich noch ein Kleid brauche!“
„Was?“
„Ein Kleid! Für den Ball, du verstehst?! Ansonsten müsste ich da nackt auftauchen, weil ich nichts zum anziehen habe!“
„Du wirst da nicht nackt hingehen, du bekommst ein Kleid!“, donnerte es zurück. Ja, das musste man bei Alina schon sagen. Wenn sie ihren Willen bekommen wollte, griff sie auf so manches unfaire Mittel zurück. Ich traute ihr durchaus zu nackt auf meinem Ball aufzutauchen, nur damit sie ihren Willen bekam.
„Okay, ich bekomme mein Kleid“, sagte sie nun wieder ins Telefon. „Aber ich muss jetzt auflegen. Donnerstag ist ja schon in zwei Tagen, und da muss ich noch so viel vorbereiten. Welche Schuhe soll ich nur mitnehmen? Oder soll ich mir besser gleich neue Kaufen, und … ach du wirst schon sehen. Bis übermorgen.“ Klick, und weg war sie.
O-kay, langsam befürchtete ich, einen Fehler mit der Einladung gemacht zu haben. Andererseits liebte ich meine Cousine, und auch ihre überdrehte Art. Sie war so das genaue Gegenteil von mir, und mit ihr zusammen auf einen richtigen Maskenball zu gehen, würde sicher der Hammer werden.
Als ich das Handy ausschaltete, fiel mein Blick auf die Uhrzeitanzeige, und mich traf fast der Schlag. „Scheiße!“, fluchte ich. Ich hätte seit über eine Stunde zurück im Stall sein müssen. Hastig rüttelte ich Cio an der Schulter, und rutschte schon unter ihm weg, da hatte er noch nicht mal richtig die Augen aufgeschlagen.
„Wie? Was los?“, fragte er schläfrig, und gähnte herzhaft, bevor er sich blinzelnd auf den Unterarm stützte, und beobachtete, wie ich eilig meine Jacke überzog.
„Tut mir leid dass ich dich geweckt hab, aber ich muss zurück in den Stall. Gisel wird mich umbringen.“
„Das kann sie doch auch später noch tun.“ Er ließ seinen Kopf auf das Kissen sinken. „Das war gerade so bequem, und ich hab so schön geträumt.“
„Tut mir echt leid.“ Ich tätschelte ihm die Schulter. „Aber ich muss wirklich los.“
Die Möglichkeit für weitere Worte bekam er erst gar nicht. Ich schnappte mir Flair vom Boden, und weg war ich.
°°°
„Viel Spaß“, wünschte Fira mir am nächsten
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