Vergangene Narben
ich langsam wirklich beleidigt. Meine Brille war nicht hässlich. „Ich mag meine Brille“, sagte ich etwas eingeschnappt, und überhörte das Schnalzen einfach, um mich dann dem Studium der einzelnen Stoffe zu widmen, doch in meinen Augen sahen die alle gleich aus. Okay, die Blautöne waren ein wenig unterschiedlich, und auch die Stoffarten, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie daraus ein Kleid werden sollte. „Ich weiß nicht, ich glaube es ist besser, wenn sie die Farben aussuchen.“
„Nur nicht so schüchtern, Engelchen. `ier, dieser Stoff, der passt gut. Du `ast so schöne `aut, wie Alabaster, da passt dieses Blau.“ Sie kramte in den Stoffproben in meinem Schoß herum. „Und `ier, das passt gut. Oh das wird magnifique, einfach très bien, isch sehe es schon genau vor mir. Nur musst du mir sagen, Engelchen, möchtest du lieber eine Schleppe, oder einen Beinschlitz, ich könnte …“
„Keinen Beinschlitz.“ Das wäre ja noch schöner. Als wenn ich jemanden freiwillig meine Fettpölsterchen zeigen würde.
„In Ordnung.“ Wieder kramte sie geschäftig in ihrer Tasche herum, und zog diesem mal einen Skizzenblock heraus – Gott, was hatte die Frau da nur alles drin? So groß war die Tasche doch gar nicht. Obwohl, vielleicht hatte sie da drin ja ein schwarzes Loch versteckt.
Sowohl Cheyenne als auch ich lehnten uns neugierig zu ihr rüber, als sie den Block aufschlug, und mit schnellen Strichen eine grobe Zeichnung anfertigte.
„An der Taille werde ich es eng schneiden. Und du brauchst ein schönes Dekolleté. Du hast so schöne Brüste, die müssen wir zeigen …“
„Ähm …“
„Und vielleicht eine Schleife? Non, kein überflüssigen Firlefanz. Isch will es schlicht aber gewagt. Oui, das wird trés chic!“ Sie zog ihre Augenbrauen fest zusammen. „`ier werde isch es raffen, und … oui, ich habe eine Idee. Nicht blau, wir nehmen pêche, nur was machen wir mit deinen `aaren?“
Pêche? Was zum Teufel war pêche? Sowas wie Pech? Aber das wäre doch dann auch wieder schwarz, oder? Ich hätte in Französisch wohl besser aufpassen sollen.
„Égale, isch werde mir schon etwas einfallen lassen.“ Sie schlug ihr Skizzenblock zu, und verstaute es mit all dem anderen Kram in Rekordgeschwindigkeit wieder in ihrer Tasche. „Aber nun muss ich ge`en. Je n'ai que peu de temps , und viel Arbeit. Wir se`en uns in zwei Tagen zur Anprobe. Au revoir, Engelchen. Königin Cheyenne.“ Sie machte vor meiner Erzeugerin einen tiefen Knicks, bevor sie all ihre Sachen zusammenraffte, und so eilig aus dem Zimmer stürmte, dass sie sogar vergaß die Tür hinter sich zu schließen.
„Sie ist … nett“, schaffte ich es mir von den Lippen abzuringen.
Cheyenne begann zu lachen, so richtig aus voller Kehle. Ihr stiegen sogar Tränen in die Augen. „Camille ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber sie ist ein Genie wenn es um Kleidung geht.
„Okay, ich glaub dir einfach mal.“ Ich wandte den Blick von der Tür zu ihr. „Aber eine Frage habe ich trotzdem noch. Was ist pêche?“
Sie blinzelte einmal, und zuckte dann die Schulter. „Keine Ahnung.“
Na super.
„Aber keine Sorge, Madame Laval wird dir schon …“
„Verschwinde endlich!“
Cheyenne und ich wandten uns bei dem lauten Ruf zur Tür, aber da war niemand. Doch der Ruf war von dort gekommen, oder, naja, zumindest vom Korridor.
„Nein hab ich gesagt, und jetzt geh!“
„Das ist Ayden“, sagte Cheyenne, und stand hastig auf.
Ich zögerte einen Augenblick, bevor ich ihr folgte – Flair direkt hinter mir.
Wie zu erwarten stand da draußen Ayden in einem geschniegelten Anzug, Cio in seiner Lederklufft direkt hinter ihm. Ihnen gegenüber stand eine junge Frau, nur wenig älter als ich. Sie trug ein langes, fließendes Winterkleid, das irgendwie etwas von einem Burgfräulein hatte. Fehlte nur noch der spitze Hut. Oder Ütt, wie Madam Laval sagen würde.
„Was ist hier los?“, wünschte Cheyenne zu erfahren, und durchschritt mir langen Schritten den Abstand zu ihrem Sohn.
„Königin Cheyenne.“ Dieser Barbieverschnitt des Mittelalters machte einen tiefen Knicks vor meiner Erzeugerin. „Es freut mich Euch zu sehen.“
Cheyenne beachtete sie gar nicht, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Sohn. „Ayden, warum schreist du hier herum?“
„Weil ich es satt habe, dass diese Mädchen alle wie läufige Hündinnen hinterher laufen. Ich kann keinen Schritt mehr machen, ohne dass eine von denen plötzlich aus dem Nichts
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