Vergangene Narben
weder mich, noch Alina, und schon gar nicht meine Mutter aus den Augen lassen wollte. Ständig rechnete er mit einem hinterhältigen Angriff der Therianthropen, und hatte Angst nicht zugegen zu sein, um notfalls eingreifen zu können, wenn wir nicht in seiner Nähe blieben. Es wurde so schlimm, dass ich mir sogar noch eine Woche Urlaub hatte nehmen müssen, weil ihn niemand dazu bringen konnte, mich aus dem Haus zu lassen. Doch gestern hatte ich darauf bestanden, ab morgen wieder arbeiten zu dürfen. Dann war Montag, und ich konnte nicht noch eine Woche blau machen, nur weil mein Vater hinter jedem Busch eine Gefahr vermutete. Sonst hätte sicher bald keinen Job mehr, von dem ich mir Urlaub nehmen könnte – was ihm im Moment wahrscheinlich auch sehr recht gewesen wäre.
Er hatte es schlucken müssen, genau wie die Tatsache, dass ich meinen besten Freund endlich wiedersehen wollte, und mich entschlossen hatte, heute mit ihm einen Film im Kino zu sehen, den es noch nicht auf Blu-RayDisc gab.
„Papa“, sagte ich ganz ruhig. „Das haben wir doch gestern alles schon besprochen. Ich weiß dass du … dass im Moment alles Mist ist, aber deswegen kannst du mich nicht wegsperren.“
Er drückte die Lippen zu einem dünne, weißen Strich zusammen.
„Ys-oog“, mischte sich da meine Mutter ein, und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Lass sie ins Kino gehen. Du weißt sie hat recht.“
Es passte ihm nicht, absolut nicht. Er wollte mich lieber da haben, wo er mich immer sehen konnte, doch auch er musste einsehen, dass sein Verhalten langsam albern wurde. Neun Tage war unsere Abreise nun her, und in dieser ganzen Zeit war nichts Außergewöhnliches geschehen – naja, außer dass mein Vater völlig am Rad drehte.
„Du bist spätestens um zehn zuhause, verstanden?“
Eigentlich müsste ich ihm jetzt erklären, dass ich neunzehn war, und er damit gar nicht mehr das Recht hatte, mir zu sagen, wann ich zuhause sein sollte, aber ich nickte einfach artig, gab ihm noch einen Kuss auf die Wange, und nach einem gemurmelten „Bis nachher“ sah ich zu dass ich wegkam. Auf weitere Anweisungen, die er mir aufs Auge drücken konnte, hatte ich nämlich keine Lust.
„Alina, lass ihn leben“, sagte ich zu meiner Cousine, die gerade versuchte meinen besten Freund zu erwürgen. Naja, eigentlich versuchte sie ja ihn zu umarmen, und ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken, aber er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen.
„Aber er will mir nicht manierlich Hallo sagen“, beschwerte sie sich mit Schmollmund bei mir.
„Ich habe bereits Hallo gesagt! Und ich habe die Hand gehoben!“
„Aber du hast mich nicht gedrückt“, gab sie eingeschnappt zurück.
Oh man, diese Kinder. „Leute, können wir jetzt fahren? Sonst fängt der Film noch ohne uns an.“ Und dann hätte ich mir diese ganze Diskutiererei mit meinem Vater auch schenken können.
Natürlich konnten wir nicht gleich fahren. Erst war Alina beleidigt, dann fiel ihr ein, dass sie ihre Tasche in Papas Wagen vergessen hatte, und als wir dann alle endlich saßen, musste ich noch mal aussteigen, um meine Eltern daran zu erinnern, dass sie nachher mit Flair spazieren gehen mussten, bevor sie vom Parkplatz fahren konnten.
Es dauerte bestimm zehn Minuten, bis wir endlich alle im Wagen saßen, bereit dazu durchzustarten, und einen ausgelassenen Tag zu dritt zu genießen, und dann sprang die alte Schrottmühle nicht an. Weder durch gutes Zureden, noch durch streicheln, und durch schlagen und verärgerte Tritte in den Fußraum passierte schon mal gar nichts. Das einzige Gute war, dass meine Eltern schon gefahren waren. Wenn mein Vater sehen würde, wie die alte Kiste schon wieder rumspinnte, würde er mich glatt wieder aus dem Wagen zerren, und mir verbieten, jemals wieder in diese Todesmühle zu steigen.
Neben mir wurde Kian zusehend wütender, aber egal was er tat, es half alles nichts, er musste aussteigen und nachsehen, was da unter der Motorhaube schon wieder los war – nein, es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Doch auch die Tür wollte sich wieder nicht öffnen lassen. Nicht beim sechsten, und auch nicht beim siebenten Versuch. Irgendwann gab Kian einfach auf, und lehnte sie verärgert zurück in die abgenutzten Polster.
„Und jetzt?“, fragte Alina vom Rücksitzt.
„Nichts und jetzt. Wir müssen warten.“
„Worauf?“
„Darauf dass diese dämliche Kiste wieder funktioniert!“, knurrte Kian nach hinten.
Ich tätschelte ihm das Bein, in der Hoffnung, dass
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