Vergangene Narben
realisierte, was das bedeutete. Das Haus in dem ich lebte, in dem meine Eltern jetzt gerade sein müssten. Meine Eltern, die ich nicht auf der Straße sehen konnte, obwohl alles voll mit Polizei war, und sie sicher nicht einfach oben in der Wohnung geblieben wären, wenn hier etwas passiert wäre. „Nein“, hauchte ich nur. Die konnten nicht aus meinem Haus kommen, das musste ein Irrtum sein. Oder sie waren wegen einem Nachbar da. Ja, genau. Es musste wegen meinem Nachbarn sein, aber warum hatten sie dann die ganze Straße abgesperrt?
„Die sind auch auf deinem Balkon“, sagte Alina da.
„Nein nein nein nein nein!“ Das war zu viel. Panisch fummelte ich an der Tür, und rannte keine Sekunde später schon die Straße entlang, genau auf das Absperrband zu. Aber das konnte mich nicht aufhalten. Ich schlüpfte einfach darunter hindurch. In meinem Kielsog folgten mir Alina und Kian, ich hörte ihr Füße auf dem Asphalt hämmern.
„Hey, da dürft ihr nicht lang!“, rief mir irgendein Polizist hinterher. Aber das war mir egal. Ich musste ins Haus, musste mit eigenen Augen sehen, dass es meinen Eltern gut ging. Ihnen durfte einfach nichts passiert sein.
Gott, bitte mach, dass ihnen nichts passiert ist!
Doch am Hauseingang war Ende für mich. Direkt vor mir tauchte ein Polizist in der Tür auf, in den ich in meiner Hast voll reinlief. Er schaffte es noch sich am Türrahmen festzuhalten, um nicht umzukippen. Ich nicht, ich prallte ab, und landete sehr schmerzhaft auf meinem Hintern.
„Zaira!“, rief Kian, und war sofort bei mir.
Der schon etwas in die Jahre gekommene Polizist mit den Haaren wie Gold, funkelte mich an, als ich mich hastig auf die Beine rappelte. „Was habt ihr hier zu suchen? Das ist ein Tatort, kein Freizeitpark, und … hey!“
Ich ignorierte ihn, wollte mich an ihm vorbeidrängeln, doch er packte mich am Arm.
„Hast du nicht gehört was ich gesagt habe? Das hier ist …“
„Meine Eltern!“, schrie ich ihm panisch ins Gesicht. „Meine Eltern sind da drin. Ich muss zu ihnen, ich muss …“
„Du wohnst hier?“
„Ja, mit meinen Eltern, und meinem Hund. Wo sind sie? Warum sind sie nicht hier?! Sie müssen mich durchlassen!“
Alina und Kian rückten näher.
Der Polizist rieb sich übers Gesicht. „In welcher Wohnung wohnst du?“
„Zweite Etage rechts, da oben wo ich eben den Polizisten gesehen habe!“
In dem Gesicht des Mannes veränderte sich etwas. Härte und Stränge verschwanden, und wichen Mitgefühl, was mein Herz sofort im doppelten Tempo schlagen ließ. Nein, oh bitte, nein.
„Es tut mir leid dir das sagen zu müssen …“
Ich schüttelte schon den Kopf. „Nein“, hauchte ich. „Bitte, nicht.“
„… aber in dieser Wohnung sind zwei Morde geschehen, und die Mieter sind verschwunden.“
Das war der Moment, in dem meine Beine nachgaben. Ich sackte einfach in mich zusammen.
„Zaira!“ Kian hockte sich zu mir, und nahm mich ganz untypisch für ihn in den Arm. Und dann begannen meine Tränen zu laufen. Meine Eltern sollten verschwunden sein? Da waren Tote in unserer Wohnung?
Der Polizist winkte einen Sanitäter heran.
Ich bekam das gar nicht mit. Auch nicht wie sie mich auf den Rücken legten, und eine Blutdruckmanschette um meinen Arm schnallte.
Stimmen schwebten über mich hinüber, aber ich konnte nur an die Dinge denken, die mein Vater in den letzten Tagen so oft gesagt hatte. Ich hatte alles als übertriebene Paranoia abgetan, und jetzt war er verschwunden. Oh Gott, nein, das durfte nicht wahr sein.
Neben mir kniete Alina, sie redete beruhigend auf mich ein, schluchzte dabei aber die ganze Zeit. Ihre Augen waren dick und verquollen, so wie immer, wenn sie heulte.
„Was ist denn genau passiert?“, fragte Kian.
Der Polizist seufzte. „Die Nachbarin hat uns alarmiert, wegen lauter Unruhen und brüllen im Hausflur. Wie es scheint haben sich mehrere Leute Zutritt zum Haus verschafft. Die Wohnungstür war nicht beschädigt, daher gehen wir davon aus, dass von innen geöffnet wurde. Was genau dann passiert ist, können wir nur raten, aber wir gehen davon aus, dass die Eindringlinge über die Bewohner hergefallen sind. Zwei von ihnen haben wir tot in der Wohnung aufgefunden. Sie sehen aus, als hätte ein Tier ihnen die Kehle aufgerissen.“ Er schüttelte den Kopf. „Sowas habe ich noch nie gesehen.“
„Und was ist mir Raphael und Jika? Also mit den Bewohnern?“, wollte Kian wissen.
„Die Eindringlinge haben sie mitgenommen. Herr Weiland hat uns das erzählt.“
„Der
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