Vergangene Narben
mehr da ist, der ans Telefon gehen kann“, sagte er sehr leise. „Sie hat sie getötet.“
Ich schluckte, weil die nächste Frage drohte mir in der Kehle stecken zu bleiben. „Wer hat wen getötet?“
„Die Wölfe der Gräfin Xaverine haben mein Rudel getötet.“
Oh Gott, nein.
Javan beugte sich ein wenig vor. „Frag ihn, was genau passiert ist. Er soll uns alles berichten, von Anfang an, bis er hier auftauchte.“
„Hast du gehört, was Javan gesagt hat?“
„Ja.“
„Dann berichte.“
Er blinzelte nicht, atmete nicht noch mal tief ein, wie es jeder andere in seiner Situation getan hätte. Er war so in meinem Bann, dass er einfach den Mund öffnete, und tat was ich von ihm verlangt hatte. In einem völlig gleichgültigen und emotionslosen Ton berichtete er uns was geschehen war. „Es war heute Morgen, noch bevor mein Wecker geklingelt hat. Ich weiß nicht was genau geschehen war. Ein Schrei riss mich aus dem Schlaf. Er war von Bev gekommen. Sie wohnte eine Baracke weiter. Ich bin sofort aus dem Bett gesprungen, um zu sehen, was da los ist, doch kaum dass ich die Haustür aufgerissen hatte, wurde ich von einem Wolf angesprungen, der mir die Kehle rausreißen wollte. Er hat es nicht geschafft, weil Janina dazwischen gegangen ist. Sie hat ihn getötet, als sie mich beschützen wollte, und ist dabei selber fast gestorben.“ Er verstummte.
Ich wartete einen Augenblick. Einerseits um ihm die Gelegenheit zu geben, noch etwas hinzuzufügen, andererseits um das was er da gesagt hat zu verarbeiten. Ich wollte es mir noch vorstellen, und doch kam ich nicht gegen die Bilder an, die mein Hirn sich zusammenreimte. „Woher weißt du, dass die Gräfin dahinter steckt?“, fragte ich leise.
„Weil die Wölfe es gerufen haben. Immer und immer wieder. Im Namen der Alphas töten wir euch. Die Bedrohung durch die Abtrünnigen wird hier und heute beendet. Es darf keine Wölfe neben dem Rudel der Könige geben. Sie wollten uns alle töten. Nicht nur mein Rudel, auch das der andren Abtrünnigen.“
Oh Gott, hieß das jetzt, dass alle Streuner in Gefahr waren?
Javan schnappte sich das Handy vom Sessel. „Ich versuche noch mal Ayko und Divana zu erreichen.“
„Ruf auch die anderen an“, befahl Gero. „Sie müssen gewarnt werden, alle.“
Nickend wählte Javan.
„Wie bist du entkommen?“, fragte ich Caine, ohne mich um die anderen zu kümmern. „Wie bist du hergekommen?“
„Mit dem Auto. Divana hat es gewollt.
Warnt die anderen Rudel,
hat sie gesagt. Dann ist sie gestorben. Ein brauner Wolf hat ihr das Genick gebrochen.“
Nach diesen Worten wurde es im Raum totenstill. Javan ließ seine Hand mit dem Handy langsam sinken, und starte den Mann auf der Couch fassungslos an. Das Tuten aus dem Gerät war das einzige Geräusch im ganzen Raum.
„Tut, tut, tut. Hallo, ich bin gerade nicht zu erreichen, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, oder versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Ich werde mich sobald wie möglich zurückmelden.“
Stille.
Nur das es ihr wahrscheinlich niemals wieder möglich sein wird sich bei irgendwem zu melden, denn sie war tot, getötet durch Xaverines Schergen.
Das zu hören … ich konnte es kaum glauben. Wie konnte diese ganze Situation nur so aus den Fugen geraten? Was versuchte diese Frau damit zu erreichen? So grausam, so unmenschlich.
Wie Tiere.
Nein, Tiere kämpften ums Überleben, um Nahrung, und nicht um Macht. Das taten nur Monster.
In dem Moment kam Alina ins Wohnzimmer gerannt. „Schnell, kommt, das müsst ihr euch ansehen!“ Und schon war sie wieder in die Küche verschwunden.
Der Blickkontakt zu Caine brach, als ich meiner Cousine hinterher sah. Caine blieb völlig gleichgültig sitzen. Hatte er überhaupt wahrgenommen, dass ich ihn gerade befragt hatte? Ich bezweifelte es.
„Nun kommt schon!“, rief Aline aus der Küche.
Gero war der erste der sich in Bewegung setzte. Gleich hinter ihm Diego, Javan, und Umbra Drogan.
Ich zögerte einen Moment, und erst als Cio mir ein Zeichen gab, ging ich den Männern hinterher.
In der Küche scharten sich alle um den Bildschirm des Laptops, der vor Cheyenne auf dem Tisch stand. Ich konnte schreie hören, das aggressive Knurren von Wölfen, Rufe.
„Die Bedrohung durch die Abtrünnigen wird hier und heute beendet!“,
rief eine männliche Stimme aus dem Computer.
Um den Monitor herum nur grimmige Gesichter.
Cio drängte sich einfach bis nach vorne durch. Ich suchte mir einen Platz weiter hinten,
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