Vergangene Narben
mit den Worten „Wir probieren es mal mit dir“ zu ihrem Mann hinaus in den Stall. Meine Tasche ließ ich so lange in der Reitstube stehen. Nur leider fand ich den Stallmeister Ronald Eusebius nicht im Stall, und musste mich erst ein wenig durchfragen, bis man mich dann auf die Reithalle in der Nähe der Gärten aufmerksam machte. Ein großes Gebäude mit vielen Oberlichtern, damit genug Licht hineinkam. Entgegen der Hallen die ich sonst kannte, gab es hier sogar ein paar Tribünen für Zuschauer, die nun aber leer waren.
Kaum dass ich die Reithalle betreten hatte, sah ich den Stallmeister dann auch schon. Er ließ diesen anderen Typen gerade ein Haflinger longieren. Ich setzte Flair an der Wand ab, und befahl ihr mit ihrem kleinen Hintern genau auf diesem Fleck sitzen zu bleiben. Dann gesellte ich mich zu dem Stallmeister, aber der bat mich noch um einen Moment Geduld, bis er mit dem anderen Kerl fertig war.
An dieser Stelle fragte ich mich, warum ein Stallhelfer longieren musste. Nun ja, ich würde es wohl einfach auf mich zulassen kommen müssen.
Derweil ich warten musste, sah ich mich ein wenig in der Halle um, du bekam fast Stielaugen, als ich die beiden Mädchen sah, die auf der anderen Seite der Halle unter der Aufsicht einer dritten Person ihre Lipizzaner synchron im Kreis ritten. Diese Mädchen waren Zwillinge, aber nicht irgendwelche Zwillinge, das waren Clover und Clair. Genaugenommen Prinzessin Clover, und Prinzessin Claire, meine Halbschwestern!
Ich hatte Bilder im Internett gesehen, und Zeitungsberichte über sie gelesen, alles was ich finden konnte. Sie waren beide fünfzehn, und ihr größtes Hobby war das Dressurreiten. Gerüchten zufolge hatten sie sogar damit begonnen das Voltigieren zu erlernen. Und die beiden jetzt hier zu sehen … ich wusste gar nicht was ich denken sollte.
Immer wieder hatte ich berichte über Turniere gefunden, an denen die beiden teilgenommen hatten. Ja, auch Turniere der Menschen. Auf meinem iPad hatte ich praktisch das ganze Leben der beiden aufgeführt. Auf Fotos hatte ich sie aufwachsen sehen. Kannte sie vom Aussehen her genauso gut wie mein eigenes Spiegelbild. Langes, blondes Haar, das ihnen glatt bis auf den Po fiel. Augen so grau wie Stein, und einen schlanken, schmalen Körper. Ein symmetrisches, feinzügiges Gesicht, das ihnen immer etwas Unschuldiges gab. An ihren Halsbeugen hatten sie ein kleines sichelförmiges Zeichen, genau wie alle aus diesem Zweig der dieser Familie. Alle außer mir.
Diese Mädchen waren das genaue Abziehbild ihrer Mutter, und damit das genaue Gegenteil von mir. Wie Tag und Nacht unterschieden wir uns. Sie waren hell, ich war dunkel. Sie waren schlank, ich hatte eindeutig ein paar Kilos zu viel auf den Hüften. Sie waren hübsch, und ich … ich war es nicht.
Und sie hatten das bekommen, was mir immer verwehrt gewesen war, sie waren Prinzessinnen geworden, und hatten bei unserer Erzeugerin aufwachsen können. Genau wie mein Halbbruder Ayden. Ich dagegen hatte mich mein Leben lang im Verborgenen aufhalten müssen.
Sie nun genau hier zu treffen, obwohl ich eigentlich nur hatte meine Erzeugerin sehen wollen, rief so viele Gefühle in mir auf, dass ich am liebsten einfach davongelaufen wäre. Zum ersten Mal kamen mir Zweifel an meinem Vorhaben. Vielleicht hätte ich ja doch nicht herkommen sollen. Ich meine, was hatte ich schon im Gegensatz zu meinen Halbgeschwistern zu bieten? Ich war das schwarze Schaf, die von der niemand etwas wissen durfte.
Der Stallmeister rief nach einer Zora. Drei Mal. Dann wurde mir klar, dass ich damit gemeint war. Mist. Hastig beeilte ich mich zu ihm zu kommen. „Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst.“
„Das habe ich gemerkt.“ Sein Blick glitt auf die Zwillinge, in ihrer sauberen Reituniform, die ihre beiden Pferde gerade seitwärts laufen ließen – natürlich in perfekter Symmetrie. „Du hast wohl unsere beiden Juwelen entdeckt.“ Sein Gesicht nahm einen sehr weichen Zug an. „Siehst du wie gut die beiden sich aufeinander abstimmen? Wie perfekt sie zusammenarbeiten? Ich habe noch nie jemanden besser reiten sehen, als diese beiden Mädchen.“
„Ja, sie sind wirklich perfekt“, sagte ich etwas bitte, und ignorierte den verwunderten Blick. Okay, ich gab’s ja zu, da sprach der Neid. Aber ich war eben nicht so perfekt. Ich hatte nicht dieses Leben geführt.
„Nun denn, dann zeig mir mal wie du mit den Pferden umgehst.“
Und damit war ich die nächste, die das Pferd longierte, Während mein
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