Vergangene Schatten
selber. Carly war schon drauf und dran, sie zu feuern, als ihr sündteurer Küchenchef an einem hektischen Samstag Abend in der Küche ausrastete und davonlief. Während Carly verzweifelt versuchte, das restliche Küchenpersonal, das ebenfalls bereits stark gestresst schien, zusammenzuhalten, tauchte plötzlich Sandra in der Küche auf. Sie weigerte sich, ein Boeuf Stroganoff zu servieren, das, wie sie sich ausdrückte, wie Hundekotze aussehe. Sie schob den verdutzten Souschef zur Seite und begann selbst zu kochen - und das wie eine wahre Meisterin. Carly verfolgte staunend, wie Sandra an diesem Abend ein köstliches Gericht nach dem anderen hervorzauberte - und ihre Gäste waren sichtlich zufrieden. Als der Abend zu Ende ging, machte sie Sandra zu ihrer neuen Küchenchefin. Danach half sie Sandra, ihre Scheidung zu bewältigen, und Sandra tat etwas später das Gleiche für sie. Sie führten gemeinsam das Restaurant, und als sie infolge von Carlys Scheidung alles verloren, schmiedeten sie Pläne für einen Neuanfang. Vor zwei Tagen war Carly aus der kleinen Wohnung ausgezogen, die sie gemietet hatte, nachdem sie ihre schicke Eigentumswohnung im Zuge der Scheidung verloren hatte. Sandra zog ihrerseits aus dem kleinen Haus aus, in dem sie zusammen mit einer Tante und einer Cousine die letzten drei Jahre gewohnt hatte, und so packten sie all ihre Habseligkeiten und Carlys Kater in den Lieferwagen und fuhren nach Benton, Georgia.
»Okay«, sagte Sandra nach einigem Überlegen, »wir wollen vielleicht nicht wieder heiraten - aber das heißt noch lange nicht, dass wir nichts mehr mit Männern zu tun haben wollen. Mit Männern kann man doch auch Spaß haben. Zumindest mehr Spaß als mit einem Vibrator.«
»Wer sagt das?«
»Hat dir ein Vibrator schon mal ein Geschenk mitgebracht? Oder dir die Füße massiert? Willst du mir etwa weismachen, du würdest nicht gern mal ein kleines Schäferstündchen mit diesem Sheriff einlegen? Ich hab doch gesehen, wie du ihn angestarrt hast.«
»Verdammt, Sandra ...« Carly sah ein, dass es zwecklos gewesen wäre, empört zu reagieren, deshalb entschied sie sich für die halbe Wahrheit. »Also gut, er sieht ja ganz nett aus, das ist mir auch aufgefallen. Na und? In seinem Fall täuscht das Aussehen aber. Glaub mir, ich kenn mich da aus.«
»Na, und wenn schon«, murmelte Sandra nicht recht überzeugt und griff wieder nach der Halteschlaufe, als Carly ziemlich zügig die nächste Kurve nahm. »Für mich sind Männer wie Schuhe. Es ist alles andere als einfach, welche zu finden, die einem wirklich passen. Wenn man doch einmal fündig wird, dann heißt es zugreifen, bevor es jemand anders tut.«
»Gute Philosophie.« Wenn Männer wirklich wie Schuhe waren, dann war Matt wie ein Paar todschicke Schuhe mit Pfennigabsätzen, die aber absolut unbequem zu tragen waren.
»Also, Antonio, der ist Löwe. Ich hab ihn danach gefragt. Fisch und Löwe - also, bei dieser Kombination, da sprühen die Funken. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ein paar Funken würden mir nicht schaden«, sagte Sandra und wandte sich Carly zu. »Weißt du zufällig, wann der Sheriff Geburtstag hat?«
Natürlich wusste Carly das. Es war der 16. November. Jahrelang war es eine der wichtigsten Fragen in ihrem Leben gewesen, was sie ihm schenken sollte.
»Nein«, sagte sie. »Übrigens, wenn du Antonio schon gefragt hast, wann er Geburtstag hat - hast du ihn da vielleicht auch gleich gefragt, ob er zufällig ^erheiratet ist?«
Sandra sah sie entgeistert an. »Das hab ich vergessen zu fragen. Ich versteh nicht, warum ich daran nicht gedacht habe.«
»Na toll. An das Wichtigste denkst du zuletzt.«
Nach der nächsten Biegung tauchte auf dem Hügel zur Rechten das Haus von Carlys Großmutter auf - nein, es war jetzt ihr Haus. Carly erkannte, dass es ihr nicht leicht fallen würde, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Jetzt, in der strahlenden Sonne, wirkte das Haus inmitten der alten Bäume malerisch und heimelig und ganz und gar nicht unheimlich. Einen beunruhigenden Moment lang dachte Carly an den Einbrecher zurück und daran, welche Ängste sie in der vergangenen Nacht ausgestanden hatte - doch dann sah sie den Streifenwagen den Hügel hinauffahren und erinnerte sich daran, dass Matt und seine Leute die ganze Gegend durchkämmt hatten und nichts Ungewöhnliches finden konnten. Bei allen Fehlern, die Matt haben mochte - und sie wollte gar nicht damit anfangen, sie sich alle in Erinnerung zu rufen, weil sie dann
Weitere Kostenlose Bücher