Vergeben, nicht vergessen
Abend auf den Sofatisch gelegt hatte. Es war das erste Mal, dass sie diese Sachen überhaupt beachtete. Hoffnung stieg in ihm auf. Sie malte einen Hund mit Punkten.
»Ein Dalmatiner?«
Sie nickte. Dann lächelte sie, zaghaft nur, aber ein Lächeln war es dennoch. Sie zupfte an seinem Ärmel. Sie hatte ihn tatsächlich berührt.
»Soll die Geschichte weitergehen?«
Sie nickte. Sie rückte ein klein wenig zu ihm hinüber und kuschelte sich in ihre Decke. Er sagte: »Komisch, aber sie wollte einen Hund, obwohl sie den Spielzeugaffen über alles liebte. Er hieß Geek. Er hatte sehr lange Arme und ein gewitztes braunbehaartes Gesicht. Sie nahm ihn überallhin mit. Eines Tages, als sie mit ihrem Vater zusammen über die Wiese in den Bergen lief, hörten sie ein lautes Geräusch. Es war der Milchmann. >Warum kommt er denn bis hier hoch in die Berge?<, fragte das kleine Mädchen ihren Vater. >Er bringt uns unsere wöchentliche Milchlieferung<, erwiderte der Vater. Und richtig, auf dem Wagen war Milch. Aber was der Mann eigentlich mitgebracht hatte, war ein ganzer Wurf kleiner
Welpen, die alle schneeweiß waren. Schon bald bellten die Welpen sich gegenseitig an und jagten über die Wiese, versteckten sich hinter Blumen und rollten sich auf den Rücken. Sie amüsierten sich einfach großartig.
Geek jedoch war nicht glücklich. Er saß auf der Terrasse, seine langen Arme baumelten an der Seite, und er beobachtete, wie die Welpen die Aufmerksamkeit des Mädchens in Anspruch nahmen. Er hörte sie lachen und sah, wie sie mit den Welpen spielte, sah die Welpen über sie krabbeln und ihr Gesicht ablecken und wimmern, wenn sie ihre Bäuchlein nicht schnell genug streichelte. Der Kopf des Affen sank ihm bis tief zwischen die Beine. Er war sehr unglücklich.
Aber plötzlich kam sie zu ihm auf die Terrasse. Sie hob ihn auf und küsste ihn auf sein haariges Gesicht. >Komm und spiel mit den Welpen, Geek<, sagte sie. >Papa meint, sie müssten schon bald wieder nach Hause zurück. Der Milchmann hat sie nur mitgebracht, damit wir mit ihnen spielen können.<
Als Geek später darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er die Welpen eigentlich ganz gern gehabt hatte, nachdem er sich erst einmal an sie gewöhnt hatte. Eigentlich waren sie sogar ausgesprochen niedlich. Vielleicht konnte er einen Welpen finden und ihn dem Mädchen mitbringen. Dicht an sie gekuschelt, schlief er ein und träumte von einem weißen Welpen, der einmal, wenn er älter wurde, schwarze Flecken bekommen würde.«
Mit dramatischer Geste schloss Ramsey das Buch. »Nun, wie findest du Geek, den Affen?«
Sie nahm Papier und Stift, arbeitete eine Weile lang, dann lehnte sie sich zurück. Er sah ein Strichmädchen mit etwas im Arm, das offenbar Geek sein sollte. Sie drückte ihn fest an sich, und sie lächelte.
»Das ist prima«, sagte er. Saß sie wirklich dicht neben ihm? Verdammt noch mal, ja, das tat sie.
Er war es, der einschlief und dessen Kopf zurück auf das Sofa fiel. Als er ein paar Stunden später aufwachte, lag sie an ihn gekuschelt, ihr Kopf auf seiner Brust und ganz und gar weich, wie vollkommen entspannte Kinder es sind. Er beugte sich herunter und küsste sie auf den Kopf. Sie roch nach einer Mischung aus seinem Shampoo und Kind. Es gefiel ihm. Er schob sie von sich herunter, deckte sie gut zu und ging in die Küche. Er machte sich etwas Kaffee, setzte sich an den Küchentisch und hörte dem Regen zu, der auf das Dach der Hütte prasselte.
Jetzt war sie schon fast vier Tage bei ihm. Er hatte keine Menschenseele in der Nähe der Hütte bemerkt. Aber er wollte, dass der Mann, der sie missbraucht hatte, hier aufkreuzte. Er hätte gerne die Gelegenheit gehabt, ihn umzubringen. Wo war der Mistkerl? Vermutlich schon über alle Berge. Wie lange noch sollte er sie hier bei sich behalten, sie vor der Welt dort draußen verstecken? Um ihre Gesundheit musste er sich keine Sorgen machen. Am zweiten Tag hatte er ihr eine seiner Schlaftabletten gegeben. Als sie tief geschlafen hatte, hatte er sie noch einmal untersucht, all die blauen Flecken und Striemen, hatte nochmals die antibiotische Salbe aufgetragen und sie wieder gut zugedeckt. Die Wunden heilten gut. Sie hatte sich nicht einmal bewegt, Gott sei gedankt.
Ob sie tatsächlich einen Dalmatiner besaß? Ihm wurde klar, dass er die Rolle ihres eigentlichen Vaters übernahm. Aber egal, solange sie bei ihm war, gehörte sie ihm. Was aber war mit ihren Eltern? Waren sie während ihrer Entführung dabei gewesen?
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