Vergeben, nicht vergessen
Rule Shaker wollte mit mir schlafen. Ich aber liebte deinen Vater. Er lag mir wirklich am Herzen. Rule sah wie ein Verbrecher aus, wenn du weißt, was ich meine. Die Art von Verbrecher, wie man sie in Hollywood auf die Leinwand setzt, wenn man Sympathie für den Kerl einheimsen will. Einer, der raucht. Dein Vater aber hatte immer schon das Aussehen eines Aristokraten. Und das bis heute, jedenfalls auf den Fotos, die ich von ihm gelegentlich gesehen habe.«
»Aber was ist denn vorgefallen?«
»Dein Vater hat uns verlassen. Rule Shaker hat versucht, mich zu zwingen, und zwar in einer sehr plumpen und taktlosen Art und Weise. Als Mann gab dein Vater sowohl mir als auch seinem Freund die Schuld. Das war das Ende unserer Ehe und das Ende ihrer Freundschaft und Geschäftsverbindung. Es war eine sehr schwere Zeit.«
»Ich erinnere mich, als wir nach Italien gingen«, sagte Molly langsam. »War das, nachdem es gerade passiert war?«
»Richtig. Aber das liegt lange zurück, zwanzig Jahre jetzt. Molly, lass mich bitte mit Emma sprechen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr alle zusammen zum Erntedankfest nach Italien kommen würdet. Man hat keine Sorge, jemandem ein Geschenk zu geben, das er vielleicht nicht haben möchte. Lediglich eine schöne, gemeinsame Festmahlzeit. Unsere Köchin Magdalena ist ausgezeichnet. Bevor sie bei mir anfing, hatte sie in ihrem Leben noch keinen Truthahn gekocht. Werdet ihr kommen?«
»Da muss ich dich später noch einmal anrufen, Mama.«
»Noch etwas, ich habe in Time ein Foto deines Vaters mit seiner Frau gesehen. Er scheint wieder unter den Lebenden zu sein. Wieder einmal. Das ist vielleicht auch gut so. Immerhin hat er die Bedrohung aus Emmas Leben getilgt.«
»Er hat Dickerson ermorden lassen, Mama«, meinte Molly, die sofort ihre eigene Scheinheiligkeit registrierte und schnell ergänzte: »Obwohl ich ihn selbst auch umlegen wollte. Du hast Recht. Was auch immer sonst Vater sein mag, er hat Emma vor der schrecklichen Erfahrung einer Zeugenaussage vor Gericht bewahrt, wenn nicht vor Schlimmerem.«
»Er sollte aber dennoch sehr vorsichtig sein, findest du nicht?«
»Natürlich«, stimmte Molly zu. »Rule Shaker gehört meines Erachtens nach nicht zu den Leuten, die schnell aufgeben. Ich bin mir sicher, dass Vater ihn gut genug kennt, um das zu wissen.«
»O ja, er selbst hält sich bestimmt für vorsichtig. Aber ich spreche nicht von Rule Shaker. Hoffentlich weiß dein Vater, was er tut.«
»Inwiefern?«
»Nun, Liebes, sie ist seine Frau. Ich hatte nicht gewusst, wen er geheiratet hat. Es erscheint mir sogar geradezu unglaublich, dass er sie geheiratet hat, aber offenbar hat er es nicht als Gefahr für sich selbst empfunden. Männer sind schon merkwürdig, findest du nicht? Sie denken mit ihrem Geschlechtsteil. Das hat meine Mutter mir ständig gesagt.«
Molly schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht, Mama. Was ist denn merkwürdig mit Eve? Zugegeben, sie ist jünger als ich, aber viele ältere Männer haben Vorzeigefrauen. Doch ich stimme dir zu, dass die meisten Männer mit ihrem Schwanz denken.«
»Molly, Liebling, welch taktlose Wortwahl. Ganz so hatte ich es nicht gemeint. Es gab jede Menge böses Blut zwischen deinem Vater und Rule Shaker, und das steigerte sich mit der Zeit auch noch. Sie hatten die gleichen geschäftlichen Interessen. Manchmal gewann der eine, dann wieder der andere, aber die Rivalität ist über die Jahre gewachsen. Deshalb ist das auch eine solche Überraschung für mich gewesen.«
»Was denn für eine Überraschung?« Molly rollte ihre Augen in Richtung Ramsey, der eine seiner schwarzen Augenbrauen in die Höhe zog.
»Deines Vaters Frau, Liebes. In der Time war ein ausgezeichnetes Foto von ihr, kurz nachdem dein Vater zum ersten Mal angeschossen worden war. Wusstest du das denn nicht, Liebes? Sie ist Rule Shakers älteste Tochter.«
34
Molly betrat das gediegene Arbeitszimmer ihres Vaters und schloss leise die hohe Doppeltür.
Ihr Vater erhob sich langsam, zog eine Augenbraue hoch und fragte: »Was ist, Molly? Ich hatte dich nicht erwartet. Ist alles in Ordnung?«
Er war makellos gekleidet. Nur wenigen Menschen in seinem Umkreis würde auffallen, dass er dünner geworden war, die angespannte Haut seines Gesichts eine leicht unnatürliche Färbung zeigte und dass er eigentlich noch im Bett liegen und sich von einer Schusswunde im Brustkorb erholen sollte. Sie lächelte ihn an. »Aber ja, uns geht es allen gut. Du siehst ebenfalls gut aus.
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