Vergebliche Suche nach Gaby
Waldrand. Mit den
Leuten vom Zoo, mit einem Dutzend Kollegen und Karl und Klößchen. Wir warten
auf Verstärkung und Ausrüstung. Dann werden wir in breiter Formation in den
Wald Vordringen.“
„Vor allem Scheinwerfer und
Lampen sind nötig, Herr Glockner. Die Dunkelheit tarnt die Bären. Und die sind
schlau. Die schlagen aus dem Hinterhalt zu. Wir brauchen Hubschrauber mit
Suchscheinwerfern und etliche Narkose-Gewehre.“
„Leider steht nur eins zur
Verfügung. Der Tierarzt glaubt nicht, dass es wirkungsvoll eingesetzt werden
kann. Das würde leider das Ende der Bären bedeuten. Nämlich Abschuss. Einen
Hubschrauber kriegen wir. Und meine Frau bringt Oskar. Der findet sein
Frauchen. Tim, wo bist du jetzt?“
Der TKKG-Häuptling beschrieb
seine Position und die Umstände. Noch bevor er ganz damit fertig war, musste er
seine Erklärung unterbrechen.
„...jetzt haut er ab, Herr
Glockner. Der Bär trollt sich. Wir hören, wie er grummelt und waldeinwärts
tappt. Offenbar will er zur Brummer-Schanze. Hoffentlich ist niemand mehr im
Wald.“
„Das hoffen wir auch.
Jedenfalls ist der Parkplatz leer. Kein Auto mehr. Etliche Walker und Jogger
kamen fluchtartig zurück. Ein Hundebesitzer wartet noch auf seinen Windhund,
der ihm angeblich von der Leine entwischt ist. Natürlich hat der Mann seinen
Vierbeiner laufen lassen — kann das aber nicht zugeben. Vermutlich ist das Tier
nicht gefährdet, denn auch der schnellste Bär holt einen Windhund nicht ein.“
Es sei denn, dachte Tim, der
will spielen und wanzt sich an, weil er die Gefahr nicht erkennt.
„Ich höre den Hubschrauber“,
sagte Glockner. „Ihr bleibt, wo ihr seid. Der Hubschrauber wird auf der
Lichtung landen und euch aufnehmen.“
„Aber Vorsicht!“, warnte Tim.
„Auf der Lichtung steht ein stabiler Baumstumpf.“
Dann hieß es warten. Aus der
Dämmerung wurde Dunkelheit. Tims Gedanken waren bei Gaby. Seine Angst um sie
wurde immer schlimmer. Die erzwungene Untätigkeit marterte. Eva und Gundula
klammerten sich an den Baumstamm wie an den rettenden Strohhalm und redeten
leise miteinander. Eva würde die Verabredung mit ihrem Freund verpassen, einem
städtischen Angestellten. Gundula hatte vorgehabt, nach dem Joggen zu fasten,
hatte aber den guten Vorsatz schon gekippt und redete dauernd von Nudeln mit
Tomatensoße — ihrem Lieblingsgericht. Offenbar löste Stress mächtigen Appetit
bei ihr aus.
Dunkler Himmel. Wolken
bedeckten ihn, rissen aber gelegentlich auf. Dahinter hing der Vollmond in
einem Gelb wie gesalzene Butter.
Ein Rotor lärmte, zerspellte
die Luft. Der Hubschrauber flog tief. Wipfel wurden gepeitscht vom Wind. Große
Suchscheinwerfer waren schräg nach unten gerichtet.
Falls der Bär noch in der Nähe
ist, dachte Tim — das vertreibt ihn endgültig. Hoffentlich weht’s uns nicht vom
Baum.
Der Helikopter kreiste einmal
über der Lichtung, fand einen Landeplatz und setzte auf.
Tim turnte hinunter und
strengte alle Sinne an, um sich nicht überraschen zu lassen von dem Raubtier.
Aber der Bär war nicht mehr da.
Zusammen mit den Frauen lief
Tim zur Lichtung. Kommissar Glockner stand neben dem Hubschrauber — mit einem
Scharfschützen der Polizei in voller Montur. Der junge Beamte hielt ein Gewehr
mit Nachtziel-Vorrichtung im Anschlag und spähte nach dem Bären.
Einsteigen. Es wurde eng. Der
Hubschrauber war ein leichtes Mehrzweck-Modell. Eva klammerte sich an Tims Arm
und schloss die Augen. Sie leide unter Flugangst, stammelte sie, und sei noch
nie geflogen. — Zweimal schien es, sie würde sich übergeben. Doch sie stand’s
durch und dann landete der Hubschrauber auf der Noah-Straße.
8. Wilddieb
aus Leidenschaft
Diese Stille! Noch nie ist der
Wald so still gewesen, dachte Egon Leberle. Vielleicht weil Samstag ist. Die
Menschen hängen vor der Glotze herum. Oder am Tresen, in Kneipen, Restaurants, bei
Bekannten, auf Partys, im Kino, im Theater, auf Groß- und Kleinveranstaltungen,
bei Events — was man früher Ereignisse nannte — in hässlichen Hallen, wo
Pop-Gruppen grölen, in Kellern und ehemaligen Viehställen. Aber niemand ist
hier im Wald. Niemand stört mich in meiner Welt.
Das musste auch unbedingt so
sein. Denn Egon Leberle war Wilddieb.
Jetzt, als die Nacht noch jung
war, saß er auf einem Hochstand. Diesen Ansitz hatte die Forstverwaltung
gebaut. Allerdings nicht für ihn, sondern für den zuständigen Revierjäger —
bzw. für einen eventuellen Jagdpächter, der das Töten von Wildtieren zu
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