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Vergebliche Suche nach Gaby

Vergebliche Suche nach Gaby

Titel: Vergebliche Suche nach Gaby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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seiner
Passion, seiner Leidenschaft, gemacht hat und sich deshalb für einen tollen
Kerl hält. Nicht ahnend, dass er in der Regel der Einzige ist, der das glaubt.
Die allgemeine Einschätzung lässt sich eher auf den Punkt bringen mit einem
Wort aus neuen Buchstaben, das eine häufig benutzte Körperregion bezeichnet und
gern als übliches Schimpfwort benutzt wird.
    Auch Egon Leberle empfand nur
tiefste Verachtung für Hobby-Jäger. Ihn reizten Gefahr und Verbot. Er nannte
das Abenteuer und hätte niemals eine Jagd gepachtet. Denn der Nervenkitzel war
sein Motiv. Das Überschreiten einer Grenze. Leider — was er manchmal bedauerte
— gehörte der Abschuss dazu. Hätte Leberle darauf verzichtet, wäre seine
Wilderei nur Theater gewesen — Schattenboxen statt blutige Prügelei.
    Egon war 34, blass, dünn und
unauffällig. Er hatte einen kleinen Laden in der Innenstadt: Sweets
& News, verkaufte also Süßigkeiten, Zeitungen und Journale. Auch englischsprachige,
um den Namen für sein Lädchen zu rechtfertigen. Mehrmals im Jahr lud er
Bekannte — Freundschaften pflegte er nicht — aus dem Kegelclub, der
Umwelt-Partei, dem Briefmarken-Verein und den Freunden-barocker-Hausmusik zu
sich ein. Meistens elf Personen, manchmal weniger, niemals mehr, denn er besaß
nur für elf Personen Geschirr. Ein edles Porzellan-Service mit Jagdmotiven.
Ursprünglich hatte es zwölf Gedecke umfasst. Aber ein Suppenteller und ein
Hauptgangteller waren zerbrochen; um Ersatz hatte er sich vergeblich bemüht.
Für diese Abendmenüs kochte Egon Leberle selbst. Und es gab immer nur Wild:
Reh, Hirsch, Wildschwein — auch Hase oder Fasan. Er kochte vorzüglich. Er
konnte Wild-Consommé bereiten, also Fleischbrühe, und exzellenten Rehrücken. Keiner
der Gäste ahnte, dass die Atzung gewildert war. Für den Eigenbedarf hielt Egon
nur wenig von seiner Beute zurück. Den größten Teil verkaufte er an einen üblen
Typ, der aber gut zahlte. Dieser Typ hieß Siegfried Otterfeint.
    Jetzt also hatte Egon den Hochsitz
erstiegen, hockte auf einer unbequemen Knüppelholz-Bank, die auch dem härtesten
Hintern zu Schwielen verhilft, und starrte in die Dunkelheit.
    Er war gekleidet wie ein
Wanderer. Vor der Brust hing ein Nachtglas. Sein Jagdgewehr konnte in zwei
Teile zerlegt werden und passte in den Rucksack.
    Der Hochsitz befand sich am
Rande eines ausgedehnten Kahlschlags, der nicht als Lichtung geplant war. Doch
vor drei Jahren hatten die Winterstürme in diesem Gebiet viele Bäume
umgeknickt. Die Waldarbeiter hatten die Stümpfe gefällt. Längst war auch der
letzte Stamm wegtransportiert und auf der Kahlschlag-Lichtung wuchsen Moose und
Gras.
    Egons Wagen, ein schlichter VW,
parkte drei Kilometer entfernt an einer Landstraße, die an diesem Teil des
Stadtwaldes vorbeiführt: Nahe einer Forststraße, die man nur mit ausdrücklicher
Erlaubnis befahren darf. Von dort bis hierher war Egon marschiert und so würde
er auch den Rückweg antreten, mit einem gewilderten Reh auf dem Rücken. Egon
kannte sich aus. Sein Gehör war naturbelassen, wie er es nannte. Er würde jeden
Widersacher hören, der mit ihm im Wald war: Einen beamteten Jäger, einen
Hobby-Jäger oder verspätete Wanderer, die sich verlaufen hatten. Auch mit dem
geschulterten Reh würde er ihnen unbemerkt ausweichen. Aber er rechnete nicht
mit einer solchen Situation. Denn es war ja Samstagabend — und die Bewohner der
Großstadt pflegten anderes Tun.
    Der Mond kam hervor.
Silberlicht auf der Lichtung. Egons Blick schweifte. Aber kein Wild war aus dem
schützenden Wald hervorgetreten. Fehlanzeige. Nun ja, Geduld ist sowieso des
Wilderers Königs-Tugend.
    Jetzt vermeinte er am
gegenüberliegenden Waldrand eine Bewegung auszumachen. Etwas sehr großes
Dunkles bewegte sich zwischen den Stämmen — und tauchte zurück in die Schwärze
der Nacht.
    Egon schüttelte den Kopf. Eine
Sinnestäuschung. So großes Rotwild gab’s hier nicht.
    Er nahm das Nachtglas vor die
Augen und suchte den Waldrand ab, aber die einzige Bewegung war das Winken der
Zweige, die vom Nachtwind bewegt wurden.
    Egon fröstelte. So sonnig und
warm der Tag gewesen war — jetzt kroch empfindliche Kühle aus dem Boden.
Eigentlich hatte Egon lange Unterhosen anziehen wollen, sich aber doch für
Feinripp-Shorts entschieden. Jetzt überzog Gänsehaut die Beine. Er nahm einen
Schluck aus der Thermosflasche, die immer im Rucksack steckte. Sie enthielt Tee
mit etwas Rum. Zu viel durfte Egon nicht davon trinken. Sonst musste

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