Vergebliche Suche nach Gaby
Lichtung, von
der er sich schon beträchtlich entfernt hatte, kreiste immer noch der
Hubschrauber.
Zum Teufel mit ihm! Abstürzen
soll er!
Egon legte den Rucksack ab, zog
die Jacke aus und stopfte sie hinein. Für einen Moment legte er das Gewehr auf
den Boden.
In diesem Moment kam der Bär.
Es war nicht Igor, dem immer
noch die Schüsse in den Ohren klingelten, sondern seine Fluchtkumpanin
Anuschka. Auch das weibliche Tier war herumgestreift in diesem Gebiet, hatte
Lärm und Aufregung aber nur von weitem erlebt.
Anuschka war nervös und zornig,
wusste sich nicht zu helfen in der ungewohnten Freiheit und griff an — griff
an, als sie den Menschen auf der Forststraße gewahrte.
Die Bärin saß links im Gebüsch
und hatte an Zweigen gekaut. Jetzt brach sie hervor, lautlos und bedrohlich.
Egon erschrak fast zu Tode. Er
griff nach seiner Waffe.
Nur Sekunden-Bruchteile fehlten
ihm um die Mündung auf die Bärin zu richten. Aber eben die fehlten ihm.
Anuschka schlug mit der Pranke im
Ansturm zu, traf das Gewehr, traf Leos Arm und die Schulter. Knochen brachen.
Leo wurde zu Boden geschleudert. Das Gewehr wirbelte empor, aber Leos Finger
war schon am Abzug gewesen. Der Schuss löste sich — der dritte Schuss hier in
dieser Nacht.
Waidmännische Wirkung erzielte
das nicht, denn die Kugel ging ins Leere. Aber der peitschende Knall rettete
dem Wilddieb zum zweiten Mal das Leben.
Statt sich auf ihre Beute zu
stürzen, drehte Anuschka ab.
Sie stürmte weg vor Entsetzen,
brach durch Büsche und Sträucher und hielt erst inne, als sie in einem anderen
Gebiet war.
Leo lag auf dem sandigen Boden
und wimmerte. Der Kopf dröhnte. Gehirnerschütterung, zweifellos. Arm gebrochen,
Schulter zerschmettert. Aus!, dachte er. Das ist mein Ende.
Immerhin war ihm klar, dass er
den Bären verscheucht hatte. Stattdessen kam aber der Hubschrauber. Die
Insassen hatten natürlich den Schuss gehört — und offenbar richtig geortet.
Der Drehflügler näherte sich im
Tiefflug, schwebte heran über der Schneise zwischen den Bäumen — der Schneise,
die von der Forststraße gezogen wurde.
Leo wimmerte einen Fluch über
die blutleeren Lippen und versuchte sich aufzurichten.
Unmöglich! Er fühlte sich wie
ausgelutscht. Seine Beine schienen nicht mehr vorhanden zu sein. Kriechen,
robben — ging das?
Er bewegte sich wie ein Wurm,
schob sich vorwärts auf der gesunden Schulter und erreichte den Straßenrand.
Dort wuchs dichtes Gebüsch. Bei
Tage wäre es durchlässig gewesen für Blicke, denn der Frühling war noch jung,
das Laubkleid unfertig. Doch jetzt bei Nacht waren die Sträucher wie eine
Mauer.
Leo kroch unter niedrige
Zweige, kroch weiter über feuchtes Moos, fauliges Laub, totes Gras.
Er schaffte noch zwei Meter.
Dann verlor er das Bewusstsein.
Im Hubschrauber sagte
Biffke-Riedl, der Pilot: „Da liegt was auf der Straße. Jetzt... jetzt kommt’s
in den Lichtbereich.“
„Mann! Das... das ist ein
Gewehr“, sagte einer der Beamten.
„Und daneben ein Rucksack“,
ergänzte der andere.
Sie landeten an einer Stelle,
wo die Forststraße verbreitert war, nämlich eine Ausbuchtung hatte, um ein
Ausweichmanöver zu ermöglichen, falls sich zwei Fahrzeuge begegneten.
Biffke-Riedl blieb auf seinem
Pilotensitz, die beiden andern liefen zur Fundstelle.
Tatsächlich! Ein Stutzen,
zusammenlegbar nach Wilddiebsart und ein Rucksack. Der enthielt eine Jacke und
in deren Tasche steckten — neben Krimskrams — eine gefüllte Brieftasche und ein
Notizbuch.
„Ein Wilddieb hinterlässt seine
Visitenkarte.“
„Sieht so aus. Aber wo ist er?“
„Ja, wo? Und was ist passiert?“
„Den haben die Bären geholt.“
„Oder er ist abgehauen in
Panik.“
„Auch möglich.“
„Suchen wir mal.“
„Ziemlich aussichtslos. Und in
den Wald gehen wir nicht! Da sind die Bären.“
Sie entsicherten ihre Pistolen
und suchten an der Straße entlang. Sie fanden nichts, auch keine Spur.
Der Hubschrauber schnatterte
noch mit verminderten Rotor-Drehungen. Die Suchscheinwerfer waren jetzt so
ausgerichtet, dass sie die Forststraße ausleuchteten. Aber nur bis zur nahen
Kurve.
Die beiden Beamten nahmen
Gewehr und Rucksack und stiegen wieder ein. Erleichterung war ihnen anzumerken.
Denn diese Art von Erfahrung ist nicht jedermanns Sache: Im nächtlichen Wald,
wo zwei gefährliche Raubtiere lauern.
„Zweifellos ein Wilddieb“,
meinte Biffke-Riedl. „Weiß der Himmel, ob er in Notwehr geschossen hat oder auf
Bärenjagd ist. Freiwillig hat
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