Vergebung
Redaktion war rasch gelockert worden, nachdem Erika Berger gegangen war.
Schließlich griff sich Mikael die DIN-A4-Seite, die Olofsson zu Dr. Anders Jonasson zusammengestellt hatte. Während er den Text las, legte er die Stirn in tiefe Falten.
Mikael Blomkvist konnte das Auto mit dem Kennzeichen KAB nicht sehen und hatte auch nicht mehr das Gefühl, beschattet zu werden. Dennoch ging er sicherheitshalber von der Akademischen Buchhandlung zum Seiteneingang des NK-Einkaufszentrums und dort zum Haupteingang hinaus. Wer einen Menschen im NK-Einkaufszentrum im Auge behalten wollte, musste schon über übermenschliche Fähigkeiten verfügen. Er schaltete beide Handys aus und schlenderte über das Galleria-Einkaufszentrum zum Gustav Adolfs Torg, lief am Reichstagsgebäude vorbei und ins Altstadtviertel Gamla Stan. Soweit er sehen konnte, folgte ihm niemand. Er machte ein paar Umwege durch Seitengässchen, bis er an der richtigen Adresse ankam und an die Tür des Svartvitt -Verlags klopfte.
Es war halb drei. Mikael kam ohne Voranmeldung, aber der Redakteur Kurdo Baksi war da, und sein Gesicht hellte sich auf, als er Mikael Blomkvist sah.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Kurdo Baksi herzlich. »Warum kommst du mich denn gar nicht mehr besuchen?«
»Ich besuch dich doch jetzt«, entgegnete Mikael.
»Ja, aber seit dem letzten Mal sind schon mindestens drei Jahre vergangen.«
Sie gaben sich die Hand.
Mikael Blomkvist kannte Kurdo Baksi seit den 80er-Jahren. Damals hatte Mikael zu den Leuten gehört, die Baksi mit praktischer Hilfe zur Seite standen, als er die Zeitung Svartvitt gründete, deren Ausgaben nachts heimlich im Kopierraum der Gewerkschaft vervielfältigt wurden. Dabei wurde er vom späteren Pädophilenjäger Per-Erik Åström ertappt. Åström war eines Nachts ins Kopierzimmer gekommen, hatte stapelweise Seiten von der ersten Ausgabe von Svartvitt gefunden und daneben einen sichtlich kleinlauten Kurdo Baksi. Woraufhin Åström sich das ungeschickte Layout der Titelseite ansah und meinte, so könne ja wohl keine Zeitung aussehen. Er entwarf das Logo, das dann fünfzehn Jahre lang die Titelseite der Zeitschrift zierte, bis sie eingestellt wurde und der Verlag Svartvitt daraus hervorging. Damals erlebte Mikael gerade eine ungute Zeit als Pressesprecher bei der Gewerkschaft - was allerdings sein einziger Ausflug in diese Branche blieb. Per-Erik Åström überredete ihn, ab und zu beim Redigieren von Svartvitt auszuhelfen. Seitdem waren Kurdo Baksi und Mikael Blomkvist befreundet.
Mikael setzte sich auf ein Sofa, während Kurdo Kaffee von einem Automaten im Korridor holte. Sie tauschten ein paar Belanglosigkeiten aus, wie man es eben tut, wenn man sich eine Weile nicht gesehen hat, wurden aber immer wieder von Kurdos Handy unterbrochen. Er führte kurze Gespräche auf Kurdisch, Türkisch oder Arabisch oder in irgendeiner anderen Sprache, die Mikael nicht verstand. So war es auch bei früheren Besuchen im Svartvitt -Verlag immer gewesen. Aus aller Welt riefen die Leute an, um mit Kurdo zu reden.
»Lieber Mikael, du siehst so bedrückt aus. Was hast du auf dem Herzen?«, fragte Kurdo Baksi schließlich.
»Kannst du das Handy mal fünf Minuten ausschalten, damit wir ungestört reden können?«
Kurdo stellte es ab.
»Okay … du musst mir einen Gefallen tun. Und versprich mir, dass du mit niemand darüber redest.«
»Schieß los!«
»1989 kam ein kurdischer Flüchtling namens Idris Ghidi aus dem Irak nach Schweden. Als er von der Ausweisung bedroht war, hat ihm deine Familie geholfen, doch noch eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ich weiß nicht, wer genau ihm geholfen hat, dein Vater oder sonst jemand aus deiner Familie.«
»Mein Onkel, Mahmut Baksi, hat ihm geholfen. Ich kenne Idris. Was ist mit ihm?«
»Vertraust du mir, Kurdo?«
»Natürlich. Wir sind immer Freunde gewesen.«
»Die Aufgabe, die erledigt werden muss, ist ein bisschen seltsam. Sehr seltsam. Ich will nicht erzählen, worin sie besteht, aber ich versichere dir, dass sie keinesfalls gesetzeswidrig ist und dich oder Idris Ghidi in Schwierigkeiten bringen könnte.«
Kurdo musterte Mikael aufmerksam.
»Verstehe. Und du willst mir wirklich nicht sagen, worum es da geht?«
»Je weniger Leute Bescheid wissen, desto besser. Du musst mich Idris vorstellen, damit er bereit ist, mir zuzuhören.«
Kurdo überlegte kurz. Dann ging er an seinen Schreibtisch und schlug einen Kalender auf. Er suchte eine Weile, bis er Ghidis’ Telefonnummer
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