Vergebung
den örtlichen Anführer der Baath-Partei, was man als hinreichenden Ausgleich für den Schaden ansah, den der irakische Staat durch Idris Ghidi erlitten hatte. Zwei Tage später wurde er freigelassen und in die Obhut seines Onkels gegeben. Bei seiner Freilassung wog er nur noch 39 Kilo und war außerstande, allein zu gehen. Vor der Freilassung hatte man ihm mit einem Vorschlaghammer die linke Hüfte zertrümmert, damit er in Zukunft keinen Unfug mehr anstellen konnte.
Idris Ghidi schwebte mehrere Wochen zwischen Leben und Tod. Als er sich ein wenig erholt hatte, brachte ihn sein Onkel auf einen sechzig Kilometer vor Mosul gelegenen Hof. Dort erholte er sich über den Sommer hinweg und sammelte wieder genügend Kräfte, um zu lernen, sich recht und schlecht mit Krücken fortzubewegen. Er wusste genau, dass er nie wieder ganz gesund werden würde. Stellte sich nur die Frage, was er in Zukunft machen sollte. Im August erreichte ihn plötzlich die Nachricht, dass seine Brüder von der Geheimpolizei festgenommen worden waren. Er sollte sie nie wiedersehen. Er nahm an, dass sie unter irgendeinem Sandhügel bei Mosul begraben lagen. Im September erfuhr sein Onkel, dass Idris Ghidi erneut von Saddam Husseins Polizei gesucht werde. Da fasste er den Entschluss, sich an einen anonymen Schleuser zu wenden, der Idris Ghidi gegen ein Entgelt von umgerechnet 30 000 Kronen über die Grenze in die Türkei schmuggeln und von dort, mithilfe eines falschen Passes, weiter nach Europa bringen sollte.
Idris Ghidi landete am 19. Oktober 1989 auf dem Stockholmer Flughafen Arlanda. Er konnte kein Wort Schwedisch, war aber instruiert worden, zur Grenzpolizei zu gehen und sofort politisches Asyl zu beantragen, was er in mangelhaftem Englisch auch tat. Man verfrachtete ihn zu einem Flüchtlingsquartier in Upplands-Väsby, wo er fast zwei Jahre verbrachte, bis die Einwanderungsbehörde entschied, dass Idris Ghidi keine ausreichenden Gründe für eine Aufenthaltserlaubnis in Schweden hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Ghidi bereits Schwedisch gelernt und ärztliche Hilfe für seine zertrümmerte Hüfte bekommen. Er war zweimal operiert worden und konnte schon wieder ohne Krücken gehen. Mittlerweile wurden in Schweden hitzige Diskussionen zur Immigrationsfrage geführt, es hatte Attentate auf Asylbewerberheime gegeben, und Bert Karlsson hatte die rechtspopulistische Neue Demokratische Partei gegründet.
Der unmittelbare Grund, warum Idris Ghidi im Zeitungsarchiv auftauchte, war der, dass er in allerletzter Minute einen neuen Anwalt bekam, der mit dem Fall an die Presse ging und seine Situation erklärte. Andere Kurden in Schweden engagierten sich für Idris Ghidi, darunter auch Mitglieder der streitbaren Baksi-Familie. Man hielt Protestversammlungen ab und formulierte Petitionen an die zuständige Ministerin Birgit Friggebo. Schließlich war die Medienaufmerksamkeit so groß geworden, dass die Einwanderungsbehörde ihre Entscheidung änderte und Ghidi eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für das Königreich Schweden gewährte. Im Januar 1992 verließ er das Flüchtlingsheim in Upplands-Väsby als freier Mann.
Nun musste er sich eine Arbeit suchen und gleichzeitig die Therapie für seine Hüfte weiterführen. Er entdeckte bald, dass seine Ausbildung zum Bauingenieur, seine mehrjährige Erfahrung und seine guten akademischen Noten ihm nicht weiterhalfen. In den nächsten Jahren arbeitete er als Zeitungsausträger, Tellerwäscher, Putzkraft und Taxifahrer. Das Zeitungaustragen musste er aufgeben, denn er konnte einfach nicht im nötigen Tempo Treppen steigen. Seine Arbeit als Taxifahrer gefiel ihm ganz gut, obwohl er keine Ortskenntnis im Bereich Stockholm besaß und nicht länger als ein paar Stunden am Stück sitzen konnte, da die Schmerzen in seiner Hüfte sonst unerträglich wurden.
Im Mai 1998 zog Idris Ghidi nach Göteborg, wo ihm ein entfernter Verwandter eine Festanstellung in einer Reinigungsfirma angeboten hatte. Idris Ghidi bekam eine Halbtagsstelle als Chef eines Putzkommandos im Sahlgrenska-Krankenhaus, mit dem das Unternehmen einen Vertrag hatte. An sechs Tagen in der Woche wischte er den Fußboden in ein paar Korridoren, unter anderem auch im Korridor 11C.
Mikael Blomkvist las Olofssons Zusammenfassung und studierte Ghidis Passbild aus dem Melderegister. Dann loggte er sich ins Zeitungsarchiv ein und las ein paar Artikel, die Olofssons Bericht zugrunde lagen. Er steckte sich eine Zigarette an. Das Rauchverbot in der
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