Vergebung
wollte.
Diese Zustände waren in Edklinths Augen zutiefst unbefriedigend. Fast alle demokratischen Länder unterhalten in der einen oder anderen Form ein unabhängiges Verfassungsgericht, das unter anderem dafür sorgt, dass die Behörden selbst sich nicht an der Demokratie vergreifen. In Schweden obliegt diese Aufgabe dem Kronjuristen oder dem Justizbevollmächtigten des Schwedischen Reichstags, der sich jedoch nur nach den Entscheidungen anderer Leute richten kann. Hätte Schweden ein Verfassungsgericht gehabt, hätte Lisbeth Salanders Anwältin den schwedischen Staat wegen der Verstöße gegen Salanders verfassungsmäßige Rechte direkt anklagen können. Und so ein Gericht könnte sämtliche Dokumente verlangen und jeden, einschließlich des Ministerpräsidenten, zu einem Verhör vorladen. Doch Annika Giannini konnte höchstens Anzeige beim Justizbevollmächtigten erstatten, der jedoch auch keine Befugnis hatte, zur Sicherheitspolizei zu marschieren und dort beweiskräftige Unterlagen zu verlangen.
Edklinth war jahrelang ein vehementer Fürsprecher der Einrichtung eines Verfassungsgerichts gewesen. Dann hätte er aufgrund der Informationen, die er von Armanskij bekommen hatte, Anzeige erstatten und dem Gericht die Beweisführung überlassen können. Damit wäre ein unaufhaltsamer Prozess in Gang gesetzt worden.
Doch stattdessen besaß Edklinth keinerlei juristische Befugnisse, mit denen er eine Voruntersuchung hätte einleiten können.
Er seufzte und nahm eine Prise Schnupftabak.
Wenn Armanskijs Angaben der Wahrheit entsprachen, dann hatten diverse SiPo-Mitarbeiter tatenlos zugesehen, wie eine Reihe schwerer Verbrechen an einer schwedischen Frau begangen worden waren. Sie hatten sie danach unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Irrenhaus sperren lassen und zu guter Letzt diesem ehemaligen russischen Topspion einen Freibrief für Waffenhandel, Rauschgiftdelikte und Mädchenhandel erteilt. Edklinth schob die Lippen vor. Er wollte lieber nicht genauer nachzählen, wie viele Gesetzesverstöße im Laufe dieser Affäre tatsächlich begangen worden waren. Ganz zu schweigen vom Einbruch bei Mikael Blomkvist, dem Überfall auf Lisbeth Salanders Anwältin und vielleicht sogar - auch wenn Edklinth sich weigerte, das zu glauben - der Beihilfe zum Mord an Alexander Zalatschenko.
Er stellte sich jetzt die Frage, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Im Grunde schien die Antwort ganz einfach. Torsten Edklinth war ein Polizist, der Kenntnis von einem Verbrechen hatte. Somit war es seine Pflicht und Schuldigkeit, sich mit einem Staatsanwalt in Verbindung zu setzen und Anzeige zu erstatten. Doch in Wahrheit war die Antwort nicht ganz so einfach. Sie war sogar richtig kompliziert.
Kriminalinspektorin Monica Figuerola war trotz ihres ungewöhnlichen Namens in Dalarna geboren, in einer Familie, die mindestens seit Gustav Wasas Tagen in Schweden ansässig war. Sie war eine Frau, die den Leuten ins Auge fiel, und zwar aus mehreren Gründen. Sie war 36 Jahre alt, blauäugig und stolze 1 Meter 84 groß. Ihr weizenblondes, naturgelocktes Haar trug sie kurz geschnitten. Sie sah gut aus, kleidete sich attraktiv und war außergewöhnlich durchtrainiert.
Letzteres kam daher, dass sie als Jugendliche eine hervorragende Leichtathletin gewesen war, und sich als 17-Jährige beinahe für die Nationalmannschaft qualifiziert hätte. Dann hatte sie mit der Leichtathletik aufgehört, trainierte dafür aber an fünf Abenden in der Woche fanatisch im Fitnessstudio. Sie machte so viel Sport, dass die Endorphine schon wie ein Rauschgift wirkten, und wenn sie das Training unterbrach, litt sie unter Entzugserscheinungen. Sie hatte einen so muskulösen Körper, dass bösartige Kollegen sie »Herr Figuerola« nannten. Wenn sie ärmellose Oberteile oder Sommerkleider trug, mussten jedem ihr Bizeps und ihre muskulösen Schultern auffallen.
Neben ihrem Körperbau nahmen viele ihrer männlichen Kollegen an der Tatsache Anstoß, dass sie obendrein mehr als ein pretty face war. Sie hatte das Gymnasium mit Bestnoten verlassen, in ihren Zwanzigern die Polizeiausbildung absolviert und dann neun Jahre bei der Polizei in Uppsala gearbeitet, während sie nebenbei Jura studierte. Zum Spaß hatte sie noch ein Examen in Staatswissenschaften abgelegt. Wissen zu analysieren und zu memorieren war für sie kein Problem. Krimis oder andere Unterhaltungsliteratur las sie nur selten, dafür vertiefte sie sich mit großem Interesse in die verschiedensten
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