Vergebung
schüttelte den Kopf. »Ohne Genehmigung des Amtschefs können wir nicht ins Archiv gehen, und wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen, solange wir noch nicht mehr in der Hand haben.«
»Wie wollen wir dann weitermachen?«
»Mårtensson«, sagte Edklinth. »Finden Sie raus, was er momentan so treibt.«
Lisbeth Salander betrachtete gerade das Fenster ihres abgeschlossenen Krankenzimmers, da hörte sie den Schlüssel in der Tür. Dr. Anders Jonasson trat ein. Es war schon nach zehn Uhr abends, und er unterbrach sie mitten in den Planungen eines Ausbruchsversuchs aus dem Sahlgrenska-Krankenhaus.
Den Schacht hatte sie schon ausgemessen und festgestellt, dass ihr Kopf hindurchpasste und sie wohl auch keine sonderlichen Schwierigkeiten haben würde, auch den Rest ihres Körpers hindurchquetschen. Sie befand sich zwar im dritten Stock, aber eine Kombination aus zerrissenen Bettlaken und dem drei Meter langen Verlängerungskabel einer Bodenlampe würde auch dieses Problem lösen.
In Gedanken hatte sie ihre Flucht schon Schritt für Schritt geplant. Nur die Kleidung stellte noch ein Problem dar. Sie hatte Unterhosen und ein Nachthemd und ein paar Plastiksandalen zur Verfügung gestellt bekommen. Ihr einziges Bargeld waren die 200 Kronen, die Annika Giannini ihr gegeben hatte, damit sie sich mal etwas Süßes am Krankenhauskiosk kaufen konnte. Das würde für billige Jeans und ein T-Shirt im Secondhandshop reichen, vorausgesetzt, sie fand einen in Göteborg. Der Rest des Geldes musste für einen Anruf bei Plague reichen. Danach würde sich schon alles lösen. Sie hatte vor, wenige Tage nach ihrem Ausbruch in Gibraltar zu landen und sich danach irgendwo in der Welt eine neue Existenz aufzubauen.
Anders Jonasson nickte und nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Sie setzte sich auf die Bettkante.
»Hallo, Lisbeth. Entschuldigen Sie, dass ich Sie in den letzten Tagen nicht besuchen konnte, aber in der Notaufnahme war einfach die Hölle los. Außerdem muss ich mich noch um ein paar junge Ärzte kümmern, die bei mir promovieren.«
Sie nickte. Dass Dr. Jonasson extra Besuche bei ihr machen würde, hatte sie auch nie erwartet.
Er nahm sich ihr Krankenblatt vor und studierte ihre Fieberkurve und die Medikation. Ihre Temperatur lag jetzt konstant zwischen 37 und 37,2 Grad, und in der letzten Woche hatte sie kein einziges Mal Kopfschmerztabletten bekommen.
»Dr. Endrin ist ja Ihre betreuende Ärztin. Kommen Sie gut mit ihr zurecht?«
»Sie ist okay«, erwiderte Lisbeth ohne größeren Enthusiasmus.
»Ist es okay, wenn ich Sie auch noch mal kurz untersuche?«
Sie nickte. Er zog eine kleine Lampe aus der Tasche, beugte sich vor und leuchtete ihr in die Augen, um zu beobachten, wie sich ihre Pupillen zusammenzogen und erweiterten. Er bat sie, den Mund zu öffnen, und sah ihr in den Rachen. Dann legte er ihr vorsichtig die Hände um den Hals und drehte ihren Kopf ein paarmal vor, zurück und zur Seite.
»Sie haben keine Beschwerden im Genick?«, erkundigte er sich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie sieht es mit dem Kopfweh aus?«
»Manchmal hab ich welches, aber das geht vorbei.«
»Der Heilungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Kopfschmerzen werden allmählich verschwinden.«
Sie hatte immer noch so kurze Haare, dass er nur ein kleines Büschelchen beiseiteschieben musste, um die Narbe über dem Ohr zu ertasten. Sie heilte problemlos, aber es war immer noch ein wenig Wundschorf darauf.
»Sie haben wieder am Schorf gekratzt. Das sollten Sie wirklich lassen.«
Lisbeth nickte. Er fasste sie am linken Ellbogen und hob ihren Arm.
»Können Sie den Arm allein heben?«
Sie streckte den Arm nach oben.
»Haben Sie Schmerzen oder irgendwelche anderen Beschwerden in der Schulter?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Spannt das?«
»Ein bisschen.«
»Ich glaube, Sie müssen die Schultermuskulatur noch ein bisschen mehr trainieren.«
»Das ist schwierig, wenn man so eingesperrt ist.«
Er lächelte sie an.
»Das wird nicht ewig dauern. Machen Sie die Übungen, die Ihr Therapeut Ihnen empfiehlt?«
Sie nickte.
Dr. Jonasson zückte sein Stethoskop und hielt es kurz an sein Handgelenk, um es anzuwärmen. Dann setzte er sich auf die Bettkante, knöpfte ihr Nachthemd auf, hörte ihr Herz ab und maß den Puls. Er bat sie, sich vorzubeugen, und legte ihr das Stethoskop auf den Rücken, um die Lungen abzuhören.
»Husten, bitte.«
Sie hustete.
»Danke. Sie können das Hemd wieder zuknöpfen. Medizinisch gesehen sind Sie mehr oder
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