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Vergebung

Vergebung

Titel: Vergebung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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herausgefunden, dass Iversen als erfahrener und korrekter Richter bekannt war, der schon andere aufsehenerregende Verhandlungen geführt hatte.
    Schließlich wurde Lisbeth Salander in den Gerichtssaal geführt.
    Obwohl Mikael mit Lisbeths provokanter Kleidung vertraut war, wunderte er sich, dass Annika ihr erlaubt hatte, so vor Gericht aufzutauchen. Sie trug einen kurzen schwarzen Lederrock mit ausgefranstem Saum und ein schwarzes Oberteil mit dem Aufdruck I am irritated , das nicht allzu viel von ihren Tattoos verdeckte. Dazu trug sie Stiefel, einen Nietengürtel und schwarz-lila gestreifte Kniestrümpfe. In den Ohren hatte sie um die zehn Piercings, ebenso in Augenbraue und Lippe. Nach ihrer Schädeloperation vor drei Monaten waren ihr erst ein paar kurze schwarze Stoppeln nachgewachsen. Obendrein war sie heftig geschminkt. Sie trug grauen Lippenstift, hatte sich die Augenbrauen nachgezogen und mehr schwarze Wimperntusche aufgetragen, als Mikael je zuvor an ihr gesehen hatte.
    Sie sah ein wenig vulgär aus, um es milde auszudrücken. Sie erinnerte an einen Vampir aus einem künstlerischen Film der 60er-Jahre. Mikael bemerkte, wie ein paar Reporter im Publikum verblüfft nach Luft schnappten oder amüsiert grinsten, als Lisbeth eintrat. Als sie das skandalumwitterte Mädchen, über das sie so viel geschrieben hatten, endlich zu Gesicht bekamen, erfüllte es prompt all ihre Erwartungen.
    Dann ging ihm auf, dass Lisbeth Salander sich nur verkleidet hatte. Normalerweise kleidete sie sich schlampig und anscheinend ohne jeden Geschmack. Mikael hatte immer gedacht, dass sie sich nicht aus modischen Gründen so kleidete, sondern um ihre eigene Identität herauszustreichen. Lisbeth Salander markierte ihr privates Revier als feindliches Territorium. Die Nieten an ihrer Lederjacke waren ihm immer wie die Stacheln eines Igels vorgekommen. Es war ein Signal an die Umwelt: Versucht bloß nicht, mich zu streicheln. Ihr würdet euch bloß wehtun.
    So wie sie jetzt in den Gerichtssaal trat, hatte sie ihren Kleidungsstil jedoch so überakzentuiert, dass es fast schon parodistisch wirkte.
    Plötzlich begriff er auch, dass dies kein Zufall war, sondern ein Teil von Annikas Strategie.
    Wäre Lisbeth mit glatt gekämmten Haaren, Seidenbluse und ordentlichen Schuhen erschienen, hätte ihr das sowieso keiner abgenommen. Es war eine Frage der Glaubwürdigkeit. Hier kam sie - und niemand anders. Auf eine übertriebene Art, um keinen Zweifel zu lassen. Ihre Botschaft an das Gericht lautete, dass sie keinen Grund hatte, sich zu schämen oder sich für irgendjemanden zu verstellen.
    Sie bewegte sich selbstsicher und setzte sich auf den Platz, den man ihr neben ihrer Verteidigerin zuwies. Sie ließ den Blick über die Zuschauer schweifen. In ihren Augen lag nicht die geringste Neugier.
    Seit sie wie eine blutige Lumpenpuppe auf der Küchenbank in Gosseberga gelegen hatte, war dies das erste Mal, dass Mikael sie sah. Und das erste Mal seit anderthalb Jahren, dass er sie unter normalen Umständen wiedersah. Wenn der Ausdruck »normale Umstände« in Zusammenhang mit diesem Prozess überhaupt angebracht war. Ein paar Sekunden lang trafen sich ihre Blicke. Sie ließ ihre Augen kurz auf ihm ruhen und zeigte nicht das geringste Zeichen des Wiedererkennens. Umso genauer studierte sie jedoch die Blutergüsse auf Mikaels Wangen und Schläfen und den Verband über seiner rechten Augenbraue. Für einen Moment glaubte Mikael den Anflug eines Lächelns in ihren Augen zu erkennen. Er war aber nicht sicher, ob er sich das nur einbildete oder nicht. Dann klopfte Richter Iversen auf den Tisch und eröffnete die Verhandlung.
     
    Die Zuschauer blieben insgesamt dreißig Minuten im Gerichtssaal. Sie durften der einleitenden Darstellung von Staatsanwalt Ekström lauschen, der die Anklagepunkte vortrug.
    Außer Mikael machten sich alle Reporter fleißig Notizen, obwohl sie doch wussten, wofür Staatsanwalt Ekström sie anklagen wollte. Mikael hatte seine Story schon geschrieben und war nur zur Verhandlung gekommen, um Lisbeth seine Unterstützung zu signalisieren.
    Ekströms einleitende Darstellung dauerte knapp zweiundzwanzig Minuten. Danach war Annika Giannini an der Reihe. Ihre Entgegnung dauerte dreißig Sekunden. Ihre Stimme war fest.
    »Die Verteidigung weist sämtliche Anklagepunkte bis auf einen zurück. Meine Mandantin gibt zu, dass sie im Besitz einer illegalen Waffe war, nämlich einer Tränengaspatrone. Für alle anderen Anklagepunkte weist meine

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