Vergebung
Staatsanwalt zu Hilfe.
Plötzlich musste Annika Giannini loskichern, gerade so laut, dass man es im Saal hören konnte. Dann verstummte sie sofort wieder und blickte erneut in ihre Papiere. Ekström sah sie gereizt an.
»Warum sind Lundin und Nieminen Ihrer Meinung nach zu Bjurmans Sommerhütte gefahren?«
»Ich weiß nicht. Ich nehme an, dass sie gekommen sind, um dort ein Feuer zu legen. Lundin hatte in der Satteltasche seiner Harley-Davidson nämlich einen Liter Benzin in einer PET-Flasche dabei.«
Ekström spitzte die Lippen.
»Warum sind Sie zu Bjurmans Sommerhäuschen gefahren?«
»Ich habe Informationen gesucht.«
»Was für Informationen?«
»Die Informationen, von denen ich annehme, dass Lundin und Nieminen sie vernichten wollten. Die Informationen, die helfen konnten, Klarheit in die Frage zu bringen, wer das Schwein umgebracht hat.«
»Sie finden also, dass Anwalt Bjurman ein Schwein war? Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja.«
»Und warum finden Sie das?«
»Er war ein sadistisches Schwein, ein Widerling und ein Vergewaltiger.«
Sie zitierte damit die Zeilen, die auf den Bauch des verstorbenen Anwalts tätowiert gewesen waren, und gab so indirekt zu, dass sie die Urheberin dieses Textes war. Das gehörte jedoch nicht zu den Anklagepunkten gegen sie. Bjurman hatte niemals Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, und es war im Nachhinein unmöglich festzustellen, ob Bjurman sich freiwillig hatte tätowieren lassen oder ob es unter Zwang geschehen war.
»Sie behaupten also mit anderen Worten, Ihr rechtlicher Betreuer habe sich an Ihnen vergriffen. Können Sie erzählen, wann diese Übergriffe vorgefallen sein sollen?«
»Das war am Dienstag, dem 18. Februar 2003, und dann noch einmal am Freitag, dem 7. März desselben Jahres.«
»Sie haben sich kategorisch geweigert, auf die Fragen der Vernehmungsleiter zu antworten, die mit Ihnen sprechen wollten. Warum?«
»Ich hatte ihnen nichts zu sagen.«
»Ich habe Ihre sogenannte Autobiografie gelesen, die Ihre Verteidigerin vor ein paar Tagen eingereicht hat. Ich muss schon sagen, ein ziemlich befremdliches Dokument, auf das wir auch noch zurückkommen werden. Darin behaupten Sie, dass Anwalt Bjurman Sie beim ersten Mal zum Oralsex gezwungen und beim zweiten Mal eine ganze Nacht lang wiederholt vergewaltigt und gefoltert habe.«
Lisbeth Salander gab keine Antwort.
»Ist das korrekt?«
»Ja.«
»Haben Sie die Vergewaltigungen angezeigt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Die Polizei hat mir früher ja auch nicht zugehört, wenn ich versucht habe, ihr etwas zu erzählen. Also hatte eine Anzeige keinen Sinn.«
»Haben Sie mit irgendeinem Bekannten über diese Übergriffe gesprochen? Einer Freundin vielleicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil das niemand etwas anging.«
»Haben Sie denn Kontakt mit einem Anwalt aufgenommen?«
»Nein.«
»Haben Sie sich an einen Arzt gewandt, um die Verletzungen behandeln zu lassen, die Ihnen Ihrer Aussage nach zugefügt worden waren?«
»Nein.«
»Und an ein Frauenhaus haben Sie sich auch nicht gewandt.«
»Das ist jetzt wieder eine Behauptung.«
»Entschuldigung. Haben Sie sich an ein Frauenhaus gewandt?«
»Nein.«
Ekström wandte sich an den Vorsitzenden.
»Ich möchte das Gericht darauf aufmerksam machen, dass die Angeklagte angibt, zwei sexuellen Übergriffen ausgesetzt worden zu sein, von denen der zweite als äußerst schwerwiegend zu betrachten ist. Sie behauptet, dass der Schuldige ihr rechtlicher Betreuer war, der verstorbene Anwalt Nils Bjurman. Gleichzeitig müssen folgende Fakten in Erwägung gezogen werden …«
Ekström nestelte an seinen Papieren.
»Dem Bericht des Dezernats für Gewaltverbrechen ist zu entnehmen, dass es in Anwalt Bjurmans Vergangenheit keine Hinweise gibt, die die Glaubwürdigkeit von Lisbeth Salanders Darstellung untermauern könnten. Bjurman ist nie für ein Vergehen verurteilt worden. Er ist auch nie angezeigt worden und war nie Gegenstand von Ermittlungen. Vielmehr war er Vormund und rechtlicher Betreuer für viele andere junge Menschen, von denen keiner behauptet, je schlecht behandelt worden zu sein. Im Gegenteil, sie unterstreichen sogar, dass Bjurman sich ihnen gegenüber immer korrekt und freundlich verhalten hat.«
Ekström blätterte um.
»Außerdem ist es meine Pflicht, Sie daran zu erinnern, dass bei Lisbeth Salander die Diagnose paranoide Schizophrenie gestellt worden ist. Diese junge Frau hat nachweislich gewalttätige Neigungen und seit
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