Vergebung
frühester Jugend ernsthafte Probleme, was die Interaktion mit ihrer Umwelt betrifft. Sie hat mehrere Jahre in einer kinderpsychiatrischen Anstalt verbracht und steht seit ihrem 18. Lebensjahr unter rechtlicher Betreuung. Wie bedauerlich das auch sein mag, das ist alles nicht grundlos geschehen. Lisbeth Salander stellt eine Gefahr für sich und ihre Umwelt da. Ich bin überzeugt davon, dass sie keine Gefängnisstrafe braucht. Sie braucht Behandlung.«
Er legte eine Kunstpause ein.
»Den Geisteszustand eines jungen Menschen zu beurteilen ist eine undankbare Aufgabe. Es verletzt seine Privatsphäre und damit seine persönliche Würde. In diesem Falle müssen wir jedoch zu Lisbeth Salanders verwirrtem Weltbild Stellung nehmen. In ihrer Autobiografie tritt es in aller Deutlichkeit zutage. Nirgendwo könnte man ihren Mangel an Realitätssinn so klar erkennen wie hier. Wir haben ihre eigenen Worte. Wir können die Glaubwürdigkeit ihrer Behauptungen selbst beurteilen.«
Sein Blick fiel auf Lisbeth Salander. Ihre Augen trafen sich. Auf einmal lächelte sie. Es sah ungeheuer boshaft aus. Ekström runzelte die Stirn.
»Hat die Verteidigung noch etwas dazu zu sagen?«, erkundigte sich Richter Iversen.
»Nein«, antwortete Annika Giannini. »Nur, dass die Schlussfolgerungen von Staatsanwalt Ekström samt und sonders Blödsinn sind.«
Am Nachmittag begann die Verhandlung mit der Zeugenvernehmung von Ulrika von Liebenstaahl vom Vormundschaftsgericht. Ekström hatte sie vorgeladen, um zu klären, ob es jemals irgendwelche Klagen gegen Bjurman gegeben habe. Von Liebenstaahl bestritt dies heftig. Sie empfand derartige Behauptungen geradezu als beleidigend.
»Sämtliche Fälle, in denen ein rechtlicher Betreuer bestellt wurde, unterliegen rigoroser Kontrolle. Anwalt Bjurman hat fast zwanzig Jahre lang die Aufträge des Vormundschaftsgerichts ausgeführt, bevor er so schändlich ermordet wurde.«
Sie bedachte Lisbeth mit einem vernichtenden Blick, obwohl Lisbeth ja gar nicht des Mordes angeklagt und bereits geklärt war, dass Ronald Niedermann Bjurman getötet hatte.
»Und in all den Jahren hat es niemals Beschwerden gegen Anwalt Bjurman gegeben. Er war ein gewissenhafter Mensch, der oft großes Engagement für seine Schützlinge zeigte.«
»Sie halten es also nicht für wahrscheinlich, dass er Lisbeth Salander schwerer sexueller Gewalt ausgesetzt haben könnte?«
»Ich finde diese Behauptung absurd. Wir haben monatliche Berichte von Bjurman bekommen, und ich habe ihn mehrmals persönlich getroffen, um mit ihm über die Angelegenheit zu sprechen.«
»Anwältin Giannini hat gefordert, dass Lisbeth Salanders rechtliche Betreuung umgehend aufgehoben werden soll.«
»Niemand ist glücklicher als das Vormundschaftsgericht, wenn eine rechtliche Betreuung eingestellt werden kann. Leider haben wir aber eine Verantwortung, und das bedeutet, dass wir uns an gewisse Regeln zu halten haben. Von Amts wegen haben wir gefordert, dass Lisbeth Salander erst durch ein psychiatrisches Gutachten für gesund erklärt werden muss, bevor von einer Aufhebung der rechtlichen Betreuung die Rede sein kann.«
»Verständlich.«
»Das bedeutet, dass sie sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen muss. Wogegen sie sich bekanntlich sträubt.«
Die Anhörung von Ulrika von Liebenstaahl dauerte knapp vierzig Minuten, während derer man auch Bjurmans Monatsberichte durchging.
Kurz bevor die Vernehmung abgeschlossen werden sollte, stellte Annika Giannini eine Frage.
»Befanden Sie sich in der Nacht vom 7. auf den 8. März in Anwalt Bjurmans Schlafzimmer?«
»Natürlich nicht.«
»Mit anderen Worten, Sie haben also nicht die geringste Ahnung, inwiefern die Behauptungen meiner Mandantin wahr oder falsch sind?«
»Diese Anschuldigungen gegen Anwalt Bjurman sind völlig aberwitzig.«
»Das ist Ihre Meinung. Aber können Sie ihm ein Alibi geben oder anderweitig belegen, dass er sich nicht an meiner Mandantin vergriffen hat?«
»Das ist natürlich unmöglich. Aber die Wahrscheinlichkeit …«
»Danke, keine weiteren Fragen«, sagte Annika Giannini.
Um sieben Uhr abends traf sich Mikael Blomkvist mit seiner Schwester im Büro von Milton Security, um die wichtigsten Ereignisse des Tages zusammenzufassen.
»Es lief ungefähr so wie erwartet«, berichtete Annika. »Ekström versucht, Lisbeths Darstellung als Hirngespinst abzutun.«
»Gut. Wie hält sie sich?«
Auf einmal musste Annika loslachen.
»Sie hält sich prächtig und wirkt wie
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