Vergebung
Steuerrecht einfach ins Sahlgrenska-Krankenhaus marschiert sein sollte, mit einem Blumenstrauß in der einen und einer Pistole in der anderen Hand, um dort eine Person hinzurichten, die gerade Gegenstand umfassender polizeilicher Ermittlungen war - seinen Ermittlungen. Eine Person, die beim Einwohnermeldeamt Karl Axel Bodin hieß, aber laut Michael Blomkvist den Namen Zalatschenko trug und ein übergelaufener russischer Agent und Mörder war.
Zalatschenko war bestenfalls ein Zeuge, schlimmstenfalls in eine ganze Reihe von Morden verwickelt. Erlander hatte die Möglichkeit gehabt, zwei kurze Verhöre mit ihm zu führen, und beide Male hatte er ihm nicht eine Sekunde lang seine Unschuldsbeteuerungen geglaubt.
Und sein Mörder hatte Interesse an Lisbeth Salander oder zumindest an ihrer Anwältin gezeigt. Er hatte versucht, in ihr Zimmer zu gelangen. Und danach einen Selbstmordversuch begangen, indem er sich in den Kopf schoss. Nach den Angaben der Ärzte war er offensichtlich so schwer verletzt, dass ihm der Versuch gelungen war, auch wenn sein Körper noch nicht ganz einsehen wollte, dass Feierabend war. Es gab Grund zu der Annahme, dass Evert Gullberg niemals vor einem Richter stehen würde.
Erlander gefiel die ganze Sache überhaupt nicht. Aber er hatte keine Beweise, dass Gullbergs Schüsse irgendetwas anderes sein könnten als das, wonach sie aussahen. Deswegen beschloss er, lieber auf Nummer sicher zu gehen. Er sah Annika Giannini an.
»Ich habe beschlossen, dass Frau Salander in ein anderes Zimmer verlegt wird. Es gibt ein Zimmer in einem Nebengang rechts von der Rezeption, das unter Sicherheitsaspekten wesentlich besser geeignet ist als dieses hier. Man hat es vom Empfang und vom Schwesternzimmer aus rund um die Uhr im Blick. Sie sind die Einzige, die vom Besuchsverbot ausgenommen ist. Niemand darf zu ihr gehen, der nicht eine Genehmigung hat oder ein bekannter Arzt oder eine Krankenschwester im Sahlgrenska ist. Und ich werde dafür sorgen, dass rund um die Uhr eine Wache vor ihrer Tür sitzt.«
»Glauben Sie, dass sie in Gefahr ist?«
»Es deutet nichts darauf hin. Aber in diesem Fall möchte ich lieber kein Risiko eingehen.«
Aufmerksam lauschte Lisbeth Salander dem Gespräch zwischen ihrer Anwältin und ihrem Gegner von der Polizei. Es imponierte ihr, wie exakt, klar und detailliert Annika Giannini antwortete. Noch mehr imponierte ihr, wie besonnen ihre Anwältin unter Stress handelte.
Im Übrigen hatte sie rasende Kopfschmerzen, seit Annika sie aus dem Bett gezerrt und auf die Toilette getragen hatte. Instinktiv wollte sie mit dem Personal so wenig wie möglich zu tun haben. Sie hatte keine Lust, um Hilfe zu bitten oder Schwäche zu zeigen. Aber die Kopfschmerzen waren so überwältigend, dass sie kaum noch klar denken konnte. Also streckte sie doch die Hand aus und klingelte nach einer Schwester.
Annika Giannini hatte den Besuch in Göteborg als Prolog zu einer langwierigen Aufgabe geplant. Sie hatte vorgehabt, Lisbeth Salander kennenzulernen, sich nach ihrem Zustand zu erkundigen und die Strategie auszuarbeiten, die Michael und sie bereits skizziert hatten. Ursprünglich hatte sie schon abends wieder nach Stockholm zurückfahren wollen, aber aufgrund der dramatischen Entwicklungen im Sahlgrenska hatte das Gespräch mit Lisbeth Salander bis jetzt noch nicht stattfinden können. Ihre Mandantin war in bedeutend schlechterer Verfassung, als sie geglaubt hatte, nachdem die Ärzte ihr erklärt hatten, ihr Zustand sei »stabil«. Lisbeth litt unter starken Kopfschmerzen und hohem Fieber, was eine Ärztin namens Helena Endrin veranlasste, ein starkes Schmerzmittel, Antibiotika und Ruhe zu verordnen. Sobald ihre Mandantin in ihr neues Zimmer verlegt worden war und ein Polizist sich vor der Tür postiert hatte, wurde Annika gebeten, sich zu verabschieden.
Sie murrte und warf einen Blick auf die Uhr. Schon halb fünf. Sie zögerte. Entweder konnte sie nach Stockholm zurückfahren, was bedeutete, dass sie am nächsten Tag wiederkommen musste. Oder sie konnte über Nacht bleiben und riskieren, dass ihre Mandantin auch am nächsten Tag noch zu krank war, um Besuch zu empfangen. Annika hatte kein Hotelzimmer reserviert und war sowieso eine Low-Budget-Anwältin für misshandelte Frauen, die nicht über größere finanzielle Mittel verfügten, weshalb sie meist darauf achtete, ihr Honorar nicht durch teure Hotelrechnungen in die Höhe zu treiben. Sie rief zunächst zu Hause an und dann bei Lillian Josefsson,
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