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Vergebung

Vergebung

Titel: Vergebung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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erzählen, was passiert ist?«
    Annika Giannini beschrieb, wie sie die Tür verbarrikadiert und sich mit Lisbeth auf der Toilette eingeschlossen hatte. Erlander wirkte nachdenklich. Er warf einen Blick auf Lisbeth Salander und dann wieder auf ihre Anwältin.
    »Sie glauben also, dass er zu Ihnen ins Zimmer wollte?«
    »Ich habe gehört, wie er versuchte, die Klinke herunterzudrücken.«
    »Und da sind Sie sich ganz sicher? Man bildet sich leicht mal was ein, wenn man erschrocken oder aufgeregt ist.«
    »Ich habe ihn gehört. Und er hat mich gesehen. Er hat sogar die Waffe auf mich gerichtet.«
    »Glauben Sie, dass er auch Sie erschießen wollte?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe schnell den Kopf zurückgezogen und die Tür blockiert.«
    »Was klug von Ihnen war. Und noch klüger war es, dass Sie Ihre Mandantin in die Toilette getragen haben. Diese Türen hier sind so dünn, da wäre eine Kugel wahrscheinlich geradewegs hindurchgegangen, wenn er geschossen hätte. Ich versuche jedoch zu verstehen, ob er einen Angriff auf Sie persönlich plante oder ob er nur darauf reagierte, dass Sie ihn ansahen. Sie waren fast auf dem Flur.«
    »Richtig.«
    »Hatten Sie das Gefühl, dass er Sie kannte oder wiedererkannte?«
    »Nein, nicht direkt.«
    »Könnte er Sie nicht von Zeitungsfotos wiedererkannt haben? Sie sind ja in mehreren publikumsträchtigen Fällen zitiert worden.«
    »Möglich. Aber diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.«
    »Und Sie hatten ihn nie zuvor gesehen?«
    »Wir sind vorher gemeinsam im Lift nach oben gefahren.«
    »Das wusste ich noch gar nicht. Haben Sie miteinander gesprochen?«
    »Nein. Ich habe nur einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen. In der einen Hand hielt er einen Blumenstrauß und in der anderen eine Aktentasche.«
    »Hatten Sie Augenkontakt?«
    »Nein. Er guckte geradeaus.«
    »Ist er zuerst eingestiegen oder nach Ihnen?«
    Annika überlegte.
    »Wir sind wohl mehr oder weniger gleichzeitig eingestiegen.«
    »Wirkte er verwirrt oder …«
    »Nein. Er stand ganz ruhig da mit seinen Blumen.«
    »Und was passierte dann?«
    »Ich bin aus dem Lift ausgestiegen. Er stieg auch aus, und dann habe ich meine Mandantin besucht.«
    »Sind Sie auf direktem Wege hierhergekommen?«
    »Ja … nein. Ich meine, ich bin zum Empfang gegangen und habe mich ausgewiesen. Der Staatsanwalt hat ja ein Besuchsverbot für meine Mandantin verhängt.«
    »Wo befand sich der Mann in diesem Moment?«
    Annika Giannini zögerte.
    »Ich bin nicht ganz sicher. Er kam nach mir, glaube ich. Doch, Moment mal … Er stieg als Erster aus dem Lift, blieb dann aber stehen und hielt mir die Tür auf. Ich kann’s nicht beschwören, aber ich glaube, er ist dann auch zum Empfang gegangen. Ich war nur schneller als er.«
    Ein höflicher pensionierter Mörder , dachte Erlander.
    »Ja, er ist auch zum Empfang gegangen«, bestätigte er. »Er hat mit der Schwester gesprochen und seinen Blumenstrauß abgegeben. Das haben Sie also nicht mehr mitbekommen?«
    »Nein. Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    Marcus Erlander überlegte einen Moment, aber es wollte ihm keine Frage mehr einfallen. Der Frust nagte an ihm. Dieses Gefühl kannte er von früher, und er hatte gelernt, es als Meldung seines Instinkts zu deuten.
    Als Mörder war also der 78-jährige Evert Gullberg identifiziert worden, ein ehemaliger Wirtschaftsprüfer, Firmenberater und Experte für Steuerrecht. Ein Mann in hohem Alter. Ein Mann, gegen den die SiPo erst kürzlich eine Voruntersuchung eingeleitet hatte, weil er ein Verrückter war, der Drohbriefe schrieb.
    Aus seiner Erfahrung als Polizist wusste er, dass es jede Menge krankhaft besessener Menschen gab, die Prominenten vor ihren Villen auflauerten, um ihre Liebe zu gewinnen. Und wenn ihre Liebe unerwidert blieb, konnte sie schnell in unversöhnlichen Hass umschlagen. Es gab Stalker, die aus Deutschland und Italien anreisten, um der 21-jährigen Sängerin einer berühmten Popgruppe nachzustellen. Es gab waschechte Psychopathen und Verschwörungstheoretiker, die geheime Botschaften zu entdecken wussten, die der normalen Welt verborgen blieben.
    Es gab auch jede Menge Beispiele, dass solche Geisteskranken durchaus von der Fantasie zur Tat schreiten konnten. War der Mord an Außenministerin Anna Lindh nicht auf den Impuls eines solchen Verrückten zurückzuführen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
    Aber Kriminalinspektor Erlander gefiel der Gedanke absolut nicht, dass ein psychisch kranker ehemaliger Fachmann für

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