Vergebung
orientieren.«
»Bedaure, aber Asperger-Patienten stecken normalerweise nicht ihre Eltern in Brand. Glauben Sie mir, ich habe noch nie im Leben eine so eindeutige Soziopathin gesehen.«
»Ich nehme sie als verschlossen wahr, aber bestimmt nicht als paranoide Soziopathin.«
»Sie ist extrem manipulativ«, erklärte Peter Teleborian. »Sie führt Ihnen das vor, wovon sie glaubt, dass Sie es sehen wollen.«
Anders Jonasson runzelte leicht die Stirn. Hier formulierte Peter Teleborian eine Einschätzung, die seinen eigenen Beobachtungen auf der ganzen Linie widersprach. Wenn es etwas gab, das Lisbeth seiner Ansicht nach nicht war, dann manipulativ. Im Gegenteil - sie war ein Mensch, der eisern auf Distanz zu seiner Umwelt blieb und überhaupt keine Emotionen zeigte.
»Sie haben sie ja in einer Zeit kennengelernt, in der sie aufgrund ihrer Verletzungen notgedrungen passiv war. Ich habe ihre gewalttätigen Ausbrüche und ihren verstockten Hass selbst miterlebt. Deswegen bin ich auch hier. Ich schlage vor, dass das Sahlgrenska und St. Stefan in diesem Fall zusammenarbeiten.«
»Und wie soll diese Zusammenarbeit aussehen?«
»Sie kümmern sich weiterhin um ihre physischen Probleme, und ich bin davon überzeugt, dass das die bestmögliche Betreuung ist, die sie bekommen kann. Aber ich mache mir große Sorgen um ihren psychischen Zustand und würde mich gerne in einem frühen Stadium einklinken. Ich bin bereit, Ihnen jede mögliche Hilfe anzubieten.«
»Verstehe.«
»Ich brauchte eine Besuchserlaubnis, damit ich mir zunächst ein Bild von ihrem derzeitigen Zustand machen kann.«
»Verstehe. Leider kann ich Ihnen trotzdem nicht behilflich sein.«
»Wie bitte?«
»Wie schon erwähnt, sie befindet sich in Untersuchungshaft. Wenn sie eine psychiatrische Behandlung beginnen wollen, müssen Sie sich an die Staatsanwältin, Agneta Jervas, wenden. Die trifft die Entscheidungen in solchen Angelegenheiten. Außerdem muss das in Abstimmung mit Lisbeth Salanders Anwältin, Annika Giannini, geschehen. Wenn ein rechtsmedizinisches Gutachten gefragt ist, muss das Gericht Sie beauftragen.«
»Das ist eben genau das bürokratische Prozedere, das ich vermeiden wollte.«
»Ja, ja, aber ich bin für sie verantwortlich, und wenn sie in naher Zukunft vor Gericht gestellt werden soll, müssen wir alle Maßnahmen schriftlich dokumentieren können. Also kommen wir um dieses bürokratische Prozedere nicht herum.«
»Dann kann ich Ihnen ja jetzt verraten, dass Staatsanwalt Ekström in Stockholm schon wegen eines rechtsmedizinischen Gutachtens angefragt hat. Das wird dann im Zusammenhang mit dem Prozess aktuell werden.«
»Na, wunderbar. Dann bekommen Sie ja eine Besuchserlaubnis, ohne dass wir vom Reglement abweichen müssen.«
»Aber während wir uns hier mit der Bürokratie auseinandersetzen, besteht das Risiko, dass sich ihr Zustand permanent verschlechtert. Ich denke nur an ihre Gesundheit.«
»Ich auch«, verkündete Anders Jonasson. »Und unter uns gesagt, habe ich keinerlei Anzeichen einer psychischen Erkrankung bei ihr entdecken können. Sie ist übel zugerichtet worden und steht unter großem Druck. Aber ich habe absolut nicht den Eindruck, dass sie schizophren ist oder unter paranoiden Wahnvorstellungen leidet.«
Dr. Peter Teleborian versuchte noch eine geraume Zeit, Anders Jonasson umzustimmen. Als er schließlich einsah, dass es keinen Sinn hatte, stand er abrupt auf und verabschiedete sich.
Anders Jonasson blieb noch eine Weile sitzen und betrachtete nachdenklich den Stuhl, auf dem Teleborian gesessen hatte. Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass andere Ärzte mit ihm Kontakt aufnahmen, wenn sie ihm Ratschläge oder Ansichten zu einer Behandlung mitteilen wollten. Aber dabei handelte es sich fast ausschließlich um Patienten, die sich bei dem betreffenden Arzt in laufender Behandlung befanden. Noch nie war ihm ein Psychiater begegnet, der plötzlich wie eine fliegende Untertasse vor seinem Büro landete und fast schon darauf bestand, dass man ihm unter Umgehung formaler Gepflogenheiten Zugang zu einer Patientin gewähre, die er seit Jahren nicht mehr behandelt hatte. Nach einer Weile blickte Jonasson auf seine Uhr und stellte fest, dass es schon kurz vor sieben war. Er griff zum Hörer und rief Martina Karlgren an, die Psychologin und Telefonseelsorgerin, die im Sahlgrenska für die Unfallpatienten zuständig war.
»Hallo. Ich schätze, du hast schon Feierabend gemacht. Stör ich dich?«
»Kein Problem. Ich bin zu
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