Vergebung
Hause und treib grade nichts Besonderes.«
»Ich bin ein bisschen ins Nachdenken gekommen. Du hast mit einer Patientin namens Lisbeth Salander gesprochen. Kannst du mir mal erzählen, was du für einen Eindruck von ihr hattest?«
»Tja, ich habe sie dreimal besucht und ihr ein Gespräch angeboten. Was sie ebenso freundlich wie entschieden abgelehnt hat.«
»Was für einen Eindruck hattest du von ihr?«
»Wie meinst du das?«
»Martina, ich weiß, dass du keine Psychiaterin bist, aber du bist ein kluger und verständiger Mensch. Was für einen Eindruck hast du von Lisbeth Salander?«
Martina Karlgren zögerte einen Moment.
»Ich bin nicht sicher, wie ich diese Frage beantworten soll. Ich habe sie zweimal gesehen, als sie noch relativ frisch bei uns war und es ihr so schlecht ging, dass ich gar nicht richtig Kontakt mit ihr aufnehmen konnte. Dann habe ich sie auf Wunsch von Helena Endrin vor ungefähr einer Woche noch einmal besucht.«
»Warum hat Helena dich gebeten, sie noch einmal zu besuchen?«
»Lisbeth Salander wird langsam wieder gesund. Sie liegt hauptsächlich in ihrem Bett und starrt an die Decke. Dr. Endrin wollte, dass ich mal nach ihr sehe.«
»Und wie ist dein Besuch verlaufen?«
»Ich habe mich vorgestellt. Wir haben ein paar Minuten miteinander geredet. Ich habe sie gefragt, wie es ihr geht und ob sie jemand zum Reden bräuchte. Sie sagte, nein, sie brauche keinen. Ich fragte sie also, ob ich ihr anderweitig behilflich sein könnte. Da bat sie mich, eine Schachtel Zigaretten einzuschmuggeln.«
»War sie gereizt oder feindselig?«
Martina Karlgren überlegte kurz.
»Nein, das kann ich nicht behaupten. Sie war ruhig, hielt aber deutlich Distanz. Ich fasste ihre Bitte auch eher als Witz auf und nicht als ernst gemeinte Anfrage. Ich fragte, ob sie etwas zum Lesen haben wolle, ob ich ihr irgendwelche Bücher besorgen könne. Erst wollte sie nicht, aber dann fragte sie, ob ich ihr ein paar wissenschaftliche Zeitschriften zum Thema Genetik und Hirnforschung besorgen könnte.«
»Genetik?«
»Ja. Ich meinte, es gäbe da einige populärwissenschaftliche Bücher zum Thema in unserer Bibliothek. Aber das interessierte sie nicht. Sie sagte, sie hätte schon früher Bücher zu diesem Thema gelesen, und nannte ein paar Standardwerke, von denen ich noch nie gehört hatte. Sie ist also eher an wissenschaftlicher Forschungsliteratur zu diesem Thema interessiert.«
»Tatsächlich?« Anders Jonasson war verblüfft.
»Ich hab mir ein paar Ausgaben von Nature und dem New England Journal of Medicine ausgeliehen. Damit war sie zufrieden, und sie bedankte sich, dass ich mir die Mühe gemacht hatte.«
»Das sind ja wirklich gehobene Fachzeitschriften, die zum Großteil Aufsätze und reine Forschungsberichte enthalten.«
»Sie liest sie mit großem Interesse.«
Anders Jonasson verschlug es einen Moment lang die Sprache.
»Wie beurteilst du ihren psychischen Zustand?«
»Tja, sie ist nach wie vor sehr verschlossen …«
»Empfindest du sie als psychisch krank, manisch-depressiv oder paranoid?«
»Nein, überhaupt nicht. In dem Fall hätte ich schon Alarm geschlagen. Sie ist sicherlich sehr eigen, hat große Probleme und steht momentan unter starkem Stress. Aber sie ist ruhig und sachlich und scheint mit ihrer Situation umgehen zu können.«
»Okay, das wollte ich wissen.«
»Warum fragst du? Ist was passiert?«
»Nein, nein. Ich werde nur einfach nicht schlau aus ihr.«
10. Kapitel
Samstag, 7. Mai - Donnerstag, 12. Mai
Mikael Blomkvist legte die Mappe mit dem Recherchebericht von Daniel Olofsson beiseite. Nachdenklich sah er aus dem Fenster und betrachtete den Menschenstrom, der sich durch die Götgatan wälzte. Das war eines von den Dingen, die ihm an seinem Zimmer am besten gefielen. Die Götgatan war rund um die Uhr belebt, und wenn er an seinem Fenster saß, konnte er sich nie richtig isoliert oder einsam fühlen
Doch obwohl er nichts Eiliges auf dem Tisch hatte, fühlte er sich gestresst. Er hatte stur an den Texten weitergearbeitet, die das Millennium -Sommerheft füllen sollten, hatte aber irgendwann eingesehen, dass das Material selbst für ein ganzes Themenheft noch zu umfassend war. Nachdem er in derselben Situation wie damals bei der Wennerström-Affäre gelandet war, hatte er beschlossen, die Texte in Buchform herauszugeben. Material für 150 Seiten hatte er schon beisammen, und er schätzte, dass das ganze Buch am Ende 300 bis 350 Seiten umfassen würde.
Zunächst hatte er die Morde
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