Vergeltung
fischte ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete ihn wieder an. »Ich habe
nur gedacht …«
»Mir ist klar, dass man Sie das schon früher gefragt hat, aber hatte
Lene vor jemandem Angst oder hat Sie etwas an ihrem Verhalten beunruhigt, was
Ihnen vielleicht erst im Nachhinein aufgefallen ist?«
»Angst?« Gerda Eriksen blickte Rebekka an. »Lene hatte keine Angst.
Überhaupt nicht. Später habe ich gedacht, dass sie in der letzten Zeit eher
etwas geheimnistuerisch gewirkt hat.«
»Geheimnistuerisch?«
»Ja. Als wäre ihr eine Erkenntnis gekommen, als hätte sie etwas
herausgefunden oder so. Es ist schwer zu erklären, aber in der letzten Zeit hat
sie oft so rätselhaft gelächelt, als würde sie etwas wissen, das außer ihr niemand
wusste.«
Rebekka dachte über diese Aussage nach. Sie hatte das Gefühl, dass
sie wichtig war. Sie gab der Frau den Bären zurück und kurz darauf
verabschiedete sie sich. Unten auf dem Bürgersteig blieb sie stehen und warf
einen Blick zurück auf das Haus. Sie sah, dass Gerda Eriksen ihr aus Lenes
Zimmerfenster nachschaute. Sie drückte Nalle noch immer an sich.
—
Der Hunger nagte wie ein
Tier im Magen, als sie zurück ins Hotel kam.
Sie hatte bei ihren Eltern kaum
etwas heruntergebracht, doch trotz des Hungers konnte sie sich nicht aufraffen,
in ein Restaurant zu gehen. Stattdessen rief sie unten in der Rezeption an und
bestellte etwas beim Zimmerservice. Kurz darauf klopfte es an der Tür, und ein
junges mürrisches Mädchen brachte einen Teller mit zwei dünn belegten Broten.
Rebekka wollte nichts sagen, dankte höflich, nahm sich ein Mineralwasser aus
der Minibar und warf sich auf das breite Bett. Die Brote schmeckten genauso
langweilig, wie sie aussahen, und sie ließ sie halb aufgegessen liegen und
trank nur das Wasser. Sie rief Michael noch einmal an, hatte jedoch kein Glück
und zappte danach durch die Kanäle des kleinen Fernsehgeräts, während sie gegen
das Einschlafen ankämpfte.
Rebekka hält
Robins kleine hellbraune fettige Hand gut fest. In der anderen hat sie ihren
roten Blecheimer. Unten im Eimer liegt eine rote Schaufel. Sie schlägt beim
Gehen im Takt gegen den Eimer. Robin hat das gleiche Set, nur in Blau. Ein
Geschenk von der Tante. Die Geschenke standen auf dem braunen Kacheltisch, als
sie im Ferienhaus ankamen.
»Hier gehen wir runter.«
Robin zeigt von der hohen Düne aus eifrig auf den Strand. Beide treten ins
Nichts hinaus. Robin läuft vorneweg. Kreischend vor Freude rast er die steile
Düne hinunter, zwischen Marsch, Strandhafer und Heidekrautbüscheln hindurch.
Rebekka ist direkt hinter ihm, dann stolpert sie, landet hart auf dem Bauch im
Sand, sodass ihr der Atem stockt und sie nach Luft ringt.
»Warte Robin, warte auf
mich. Robin, warte …«
Das Klingeln des Telefons
brachte sie verwirrt in die Realität zurück. Sie setzte sich erschrocken auf
und sah sich suchend nach ihrem Handy um. Es lag unter einem Kissen. Sie kannte
die Nummer nicht, stellte nur fest, dass ihr Handy bald keinen Strom mehr
hatte.
»Hallo«, murmelte sie schlaftrunken.
Der Schrei war so durchdringend, dass ihr vor Schreck das Handy auf
das Bett fiel. Mit zitternden Händen griff sie erneut danach.
»Wer ist da, was ist passiert?«
Durch den Hörer war ein lauter, klagender Schrei zu hören und einen
Moment kamen ihr Zweifel, inwieweit der Laut überhaupt von einem Menschen kam.
»Katja … Katja.«
»Sind Sie das, Katja?«, fragte Rebekka atemlos. Sie erkannte die
Stimme noch immer nicht.
»Nein, ich bin’s, Mia. Katja ist tot.«
Rebekka erstarrte in der Bewegung.
»Was sagen Sie da, Mia? Wie … Katja ist tot?«
»Sie ist ertrunken«, schluchzte Mia am anderen Ende. »Sie liegt in
der Badewanne. Das Wasser ist eiskalt. Ich war das Wochenende über zu Hause bei
meinen Eltern. O Gott.«
Mia schluchzte laut auf.
»Haben Sie die Notrufzentrale angerufen?«, fragte Rebekka, während
sie aus dem Bett sprang und in ihre Schuhe fuhr.
»Ich wollte zuerst Sie anrufen«, sagte Mia weinend. »Sie haben mir doch
Ihre Karte gegeben und gesagt, dass wir Sie anrufen können, wenn etwas ist …«
»Sind Sie sicher, dass Sie allein in der Wohnung sind?« Rebekka
griff nach ihrem Mantel und steckte die Pistole in die tiefe Manteltasche. Dann
schloss sie die Tür hinter sich und lief mit dem Handy am Ohr die Treppe
hinunter zur Rezeption.
»O Gott, das nehme ich doch an.« Mia klang erschrocken, als ihr
plötzlich klar wurde, dass Katja vielleicht ermordet
Weitere Kostenlose Bücher