Vergeltung
worden war. Sie wimmerte
laut ins Telefon. Rebekka legte die Hand darüber, während sie die Frau an der
Rezeption, die sie offen anstarrte, bat, die Polizei und einen Krankenwagen zu
der Adresse des Mädchens zu schicken.
»Atmen Sie tief durch, Mia. Ich bleibe am Telefon«, versuchte sie
sie zu beruhigen.
Am anderen Ende war ein kräftiges Schniefen zu hören.
»Ich bin auf dem Weg zu Ihnen. Ich bin gleich da, Mia.«
Wenige Minuten später betrat sie das nicht abgeschlossene Haus und
lief die Treppe hinauf zu der Wohnung, während der Klang von Sirenen sich
näherte. Die Wohnungstür war nicht verschlossen, und sie trat in die dunkle
Diele. Sie hörte das Mädchen laut im Badezimmer weinen.
Mia saß, den Rücken gegen die alte Badewanne gelehnt, auf dem Boden
und sah mit großen ängstlichen Augen zu Rebekka hoch. Ihr Gesicht war weiß,
selbst die vielen Sommersprossen hatten ihre Farbe verloren. Sie hatte noch
immer ihren grellgrünen Mantel an, der einen starken Kontrast zu der weißen
Haut, den weißen Fliesen und dem nackten weißen Körper in der Badewanne
bildete. Rebekka fiel auf, dass Mias einer Ärmel bis zur Schulter nass war.
Wahrscheinlich hatte sie versucht, die Freundin aus dem Wasser zu ziehen.
Rebekka warf einen Blick auf Katja und wusste sofort, dass das Mädchen schon
seit geraumer Zeit tot war. Sie lag auf dem Rücken, Gesicht und Brust schauten
aus dem Wasser. Die Haut war weiß und gummiartig, Hände und Füße runzlig wie
Rosinen. Rebekka beugte sich über die Wanne, die Unterseite der Leiche war mit
dunkelvioletten Leichenflecken bedeckt. Katja starrte zur Decke, die Hornhaut
war milchig. Rebekka legte vorsichtig den Arm um Mia und half ihr aufzustehen.
Im gleichen Moment drängten Sanitäter und Polizei zur Tür herein.
»Stopp. Hier handelt es sich eindeutig um einen verdächtigen
Todesfall, höchstwahrscheinlich um Mord, also passen Sie auf, dass die Leute
nicht in eventuellem Beweismaterial herumtrampeln«, sagte sie zu dem ersten
Polizisten, der in der Tür zum Badezimmer auftauchte. »Rufen Sie die
Spurensicherung an und sehen Sie, ob Sie Teit Jørgensen zu fassen bekommen«,
fuhr sie fort. Der Polizist nickte, und sein junges Gesicht verzog sich zu
einer erschrockenen Grimasse, als er hinter ihr Katja erblickte.
Rebekka brachte die zitternde Mia ins Wohnzimmer und setzte sie aufs
Sofa. Sie zog dem Mädchen den nassen Mantel aus, packte sie in eine große
hellgrüne Decke und bat einen Polizisten, einen Tee mit viel Zucker zu machen.
»Mia.« Sie sah die junge Frau ernst an, die zähneklappernd auf dem
Sofa saß. »Es ist wichtig, dass Sie gründlich nachdenken und mir alles
erzählen, was Sie wissen. Selbst die unbedeutendste Kleinigkeit.«
Mia nickte mit erschrockenen Augen.
»Wann haben Sie Katja zuletzt gesehen?«, fragte sie und deckte Mia
mit einer weiteren Decke zu.
»Freitagmorgen. Sie kam in die Küche, als ich gerade gehen wollte.
Wir haben noch kurz miteinander gesprochen, sie hat gesagt, dass sie
Kopfschmerzen hat und die Vorlesungen ausfallen lässt, und dann bin ich los.
Ich wollte übers Wochenende zu meinen Eltern. Sie haben mich gerade unten auf
der Straße abgesetzt.« Mias Augen füllten sich mit Tränen.
»Was für einen Eindruck hat Katja am Freitag auf Sie gemacht? War
sie froh, aufgedreht, geheimniskrämerisch, ängstlich?«
Mia dachte über die Frage nach.
»Sie war wie immer. Sie hat nichts Besonderes gesagt.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass sie sich mit jemandem treffen
wollte?«
Mia schüttelte den Kopf. In dem Moment kam ein Polizist mit einer
Tasse dampfendem Tee herein.
»Wer hat einen Schlüssel zu der Wohnung?«
Mia sah Rebekka verwirrt an.
»Niemand, nur Katja und ich. Aber die Tür ließ sich leicht öffnen …«
Sie schwieg und starrte vor sich hin.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Rebekka ungeduldig.
»Wir haben ein paarmal unsere Schlüssel vergessen und die Tür ließ
sich ganz leicht mit einer Plastikkarte öffnen, mit einer gewöhnlichen
Scheckkarte zum Beispiel, Sie wissen schon.«
Mia sah sie mit ihren runden Augen an.
»Wer wusste davon?«, fragte Rebekka. Sie kannte diesen Trick, der
bei Einbrechern äußerst beliebt war.
»Erik hat uns das gezeigt, Annas Freund. Er ist ein bisschen
merkwürdig. Es ist typisch für ihn, dass er so etwas weiß«, sagte Mia und
nippte vorsichtig an dem Tee.
»Wann hat er Ihnen das gezeigt?«
»Ungefähr vor einem Monat. Wir waren alle bei ihm zu Hause. Katja
hatte mal wieder ihren
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