Vergeltung
hungriger
Wölfe.
—
Die Zeiger der Uhr
näherten sich Mitternacht. Nachdem das Team mit frischem Mineralwasser, starkem
Kaffee und diversen Snacks wiederaufgetankt hatte, leitete Teit Jørgensen die
Besprechung ein. Er sah erschöpft aus. Das schwarze Haar stand in alle Richtungen
ab, das Hemd war zerknittert, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Die Situation ist im Moment gelinde
gesagt chaotisch.« Er räusperte sich. »Wir müssen alle verfügbaren Leute
einsetzen, um Anna Jelager zu finden. Der Fall hat höchste Priorität. Rebekka,
wollen Sie übernehmen?«
»Danke.« Rebekka erhob sich und blickte über die Versammlung.
Zwanzig müde Augenpaare waren auf sie gerichtet. »Wir haben zweihundertfünfzehn
Personen befragt, die sich in oder vor dem Supermarkt befanden, und
hundertneunundzwanzig Autos durchsucht, ohne nennenswertes Resultat. In einem
der Autos haben wir hundert Gramm Hasch gefunden, aber nichts, das eine
Verbindung zu Anna Jelager vermuten ließe. Offenbar hat niemand Katrine und Anna
Jelager bemerkt.« Der Satz machte sie seltsam traurig. »Das sind die Fakten:
Anna Jelager wurde am 21. März 2005 geboren und ist demnach knapp zweieinhalb
Jahre alt. Katrine Jelager ist neunundzwanzig Jahre alt und examinierte
Krankenschwester. Sie arbeitet in der Entzugsambulanz im Krankenhaus. Die
beiden wohnen in einer Dreizimmerwohnung in der Morsøgade, und Anna hat täglich
die Kinderkrippe in Ringgården besucht.« Sie schielte auf das Papier hinunter.
»Was ist mit dem Vater?«, fragte einer der Polizisten.
»Der Vater heißt Gregers Johansen. Er ist achtundzwanzig Jahre alt
und Zimmermann und hat das letzte Jahr nicht mit Katrine und Anna
zusammengewohnt. Sie fragen sich natürlich, ob er sie entführt haben kann, und
das können wir auch nicht ausschließen, da die beiden Katrines Eltern zufolge
einige Probleme wegen der Besuchszeiten hatten, aber unmittelbar weist nichts
darauf hin. Wir versuchen, ihn zu erreichen, aber er ist nicht zu Hause.«
Sie holte Luft, bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen,
doch der Raum drehte sich vor ihren Augen. Ihr war schwindlig, sie fror und
schwitzte gleichzeitig, als wäre eine Grippe im Anmarsch. Sie konzentrierte
sich auf die Schwarz-Weiß-Fotos von Prinz Henrik und Königin Margrethe, die in
vergoldeten Rahmen an der Wand hingen. Prinz Henrik hing ein wenig schief,
stellte sie fest, bevor sie wieder Augenkontakt mit den anderen aufnahm und
fortfuhr: »Es war bisher nicht möglich, Katrine Jelager zu befragen. Sie liegt
mit einem Schock im Krankenhaus, doch ihre Eltern sind mit ein paar neueren
Fotos von Anna Jelager und Spielsachen für die Spürhunde auf dem Weg hierher.
Die Wohnung ist durchsucht worden, da war das Kind nicht. Mehrere Polizisten
sind im Einsatz und suchen nach ihr, und wenn die nächtliche Suche erfolglos
bleibt, werden wir morgen früh damit fortfahren.«
Susanne meldete sich zu Wort.
»Kann Alex Pedersen sie entführt haben? Er liebt doch Kinder, wie
ich in dem Verhör mit ihm gelesen habe«, sagte sie, und ein leises Murmeln war
zu hören, das bestätigte, dass nicht allein ihr dieser Gedanke gekommen war.
Rebekka zuckte mit den Schultern.
»Ich sehe unmittelbar kein Motiv, obwohl ich ihn natürlich nicht
ausschließen kann. Warum sollte Alex Pedersen das tun? Außerdem wird er
gesucht. Es wäre sehr riskant für ihn, in einen überfüllten Supermarkt zu gehen
und ein Kind zu entführen«, sagte sie.
»Vielleicht hat er das Kind gekidnappt«, warf David ein. »Alex
Pedersen weiß, dass er gesucht wird. Vielleicht will er uns erpressen, einen
Tauschhandel vorschlagen.«
Rebekka schüttelte leicht den Kopf.
»Das ist natürlich eine Möglichkeit, aber bei uns ist keine
Lösegeldforderung von einem eventuellen Kidnapper eingegangen, und das Mädchen
kommt aus einer ganz gewöhnlichen Familie mit einem ganz normalen Einkommen.
Ich bin sicher, dass Alex Pedersen sich weit von Ringkøbing entfernt versteckt
hält und nichts mit Anna Jelagers Verschwinden zu tun hat«, stellte sie fest
und ging anschließend die Aufgaben für den nächsten Tag durch.
Teit Jørgensen fasste die Hauptpunkte der Besprechung zusammen.
»Die kleine Anna hat jetzt oberste Priorität. Wir hoffen natürlich,
dass es uns auch bald gelingt, Alex Pedersen zu finden. Wir haben alle
verfügbaren Kräfte im Einsatz. Anna Jelager muss gefunden werden.«
—
Es war weit nach
Mitternacht, als Rebekka das Polizeipräsidium verließ. Der Mond
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