Vergeltung
du
ihnen mit Abneigung und Verurteilung gegenübertrittst. Es sind eine Reihe wissenschaftlicher
Versuche durchgeführt worden, die belegen, dass Polizisten, die das kognitive
Verhörprinzip anwandten, um dreiundsechzig Prozent präzisere Informationen
bekamen als ihre Kollegen, die sich der traditionellen Verhörmethode
bedienten.«
»Das müsste doch auch bei Zeugenbefragungen funktionieren?«
»Natürlich, bei dieser Form der Befragung erinnern sich die Zeugen
an mehr und erzählen mehr. Der Zeuge ist genau wie der potenzielle Täter der
aktive Part. In den letzten beiden Jahren sind die Schüler auf der Polizeischule
in dieser Methode unterrichtet worden …«
Sie wurden von dem Klingeln ihres Handys unterbrochen. Es war Teit
Jørgensen. Ein Ferienhausbesitzer hatte Alex Pedersen mehr tot als lebendig auf
einem Ferienhausgrundstück in Hvide Sande gefunden. Er war mit einer schweren
Blutvergiftung und einundvierzig Grad Fieber auf die Intensivstation
eingeliefert worden. Sein Zustand war kritisch. In dem baufälligen Haus, in dem
Alex Pedersen sich aufgehalten hatte, gab es keine Spur von Anna Jelager, somit
deutete nichts unmittelbar darauf hin, dass er etwas mit ihrem Verschwinden zu
tun hatte. Sie ließen Rebekkas Auto stehen und nahmen Michaels Dienstwagen. Das
Essen sorgte für eine angenehme Schwere im Magen, und Rebekka streckte sich
schläfrig auf dem Sitz, während sie im Dunkeln Michaels Silhouette betrachtete.
Er fuhr konzentriert, den Blick auf die Landstraße gerichtet.
»Glaubst du, dass es irgendeine Verbindung zwischen Anna Gudbergsen
und Anna Jelager gibt?«, fragte sie.
Er antwortete nicht sofort, dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Wir haben versucht, Parallelen herzustellen, doch nichts gefunden.
Die beiden Familien kennen sich nicht, weder durch die Kinderkrippe noch durch
die Arbeit oder ihre Freizeitaktivitäten. Sowohl Katrine als auch Gregers sind
aus Tarm beziehungsweise Horsens zugezogen. Glaubst du denn, dass es eine
Verbindung gibt?« Er klang überrascht.
»Wir werden sehen. Ich habe keine Trumpfkarte im Ärmel«, sagte sie
und kratzte sich am Kopf, »aber ich bin überzeugt, dass irgendetwas diese
beiden Mädchen verbindet, ich weiß nur noch nicht, was. Vielleicht ist es etwas
so Banales wie ihr Name – Anna.« Sie hielt inne, grübelte weiter. Schließlich
floss alles ineinander. Sie lehnte sich zurück, genoss das Brummen des Autos,
die Stille, während sie die vielen Eindrücke und Informationen zu sortieren
versuchte. Der Name Anna, die verschwundene Sanna Gudbergsen, der verschreckte
Kenneth, der auf ihre Halskette gezeigt hatte, und nicht zuletzt der
unaufgeklärte Mord an Lene Eriksen vor so vielen Jahren.
—
Die Badewanne war alt, die
weiße Emaille an mehreren Stellen abgeblättert und auf den geschwungenen Löwenfüßen
waren Rostflecken. Trotzdem schlugen die Leute bewundernd die Hände zusammen,
wenn sie sie sahen, was Katja immer wieder verwunderte. Sie hatte Schwierigkeiten,
diesen alten Kram charmant zu finden, sie träumte stattdessen von einem
modernen Whirlpool. Das war natürlich unrealistisch mit einem Studiendarlehen
und deshalb war es bei dem Traum geblieben. Bis jetzt. Sie drehte den
Wasserhahn der Badewanne auf, gab Badeöl hinein und schälte sich langsam aus
ihren Kleidern, während sie sich in dem großen Badezimmerspiegel betrachtete.
Den schlanken Körper, die langen Beine, die trotz ihrer leichten X-Beinigkeit
schön waren. Ihr kam der Gedanke, dass sie jetzt die Schönste der Freundinnen
war, und kurz durchfuhr sie eine kindliche Freude. Dann schämte sie sich. Sie
drehte den Wasserhahn zu. Das Badezimmer war in Dampf gehüllt. Vorsichtig stieg
sie in die Wanne und tauchte langsam in die Wärme ein. Sie legte sich einen
Waschlappen auf das Gesicht, schloss die Augen und entspannte, während sie den
Gedanken freien Lauf ließ.
Sie war stolz auf sich und
überrascht über ihren Mut. Man musste sich einmal vorstellen, dass sie sich
getraut hatte, anzurufen und Geld für ihr Schweigen zu fordern. Die Person am
anderen Ende der Leitung war still geworden, hatte dann aber schnell zugestimmt.
Katja lächelte. Heute Abend würde sie das viele Geld bekommen. Zehntausend
Kronen frei Haus. Sie schnappte nach Luft bei dem Gedanken, und das war erst
der Anfang. Das Wasser wurde langsam kalt. Sie tastete nach der Armatur, drehte
das warme Wasser auf, dann lehnte sie sich erneut zurück. Sie döste, als sie
ein leises Knacken und Schritte hörte.
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