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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Mann, sondern einen Jungen. Vielleicht hatten sie sich im Kino getroffen und eine gemeinsame Vorliebe für Kung-Fu entdeckt. Uwe war zu unbeleckt, um das Mädel hinter dem Burschen Gabi zu erkennen. Doch plötzlich gewann eine andere Figur die Oberhand. Falls es stimmte, was Hede über die multiple Persönlichkeit erzählt hatte, dann konnte der Wechsel plötzlich eintreten. Und der harmlose Bub, der keiner Fliege was zuleide tat, hatte plötzlich als Stellvertreter seines mörderischen Geschlechts herhalten müssen. Eine rote Zora hatte zugeschlagen.
    »Ich denke«, sagte Krk, »wir sollten eine Struktur in die Frauenleichen bringen. Susanne gehört zu den Endhaltestellenfällen. Die haben nichts mit dem Würger zu tun. Der im Übrigen seit zwei Jahren nicht mehr tätig ist. Was haben Sie denn? Ist Ihnen nicht gut?«
    »Nichts«, räusperte ich. »Ich habe nur etwas über Gabi erfahren …«
    »Und jetzt zweifeln Sie, ob sie Uwe nicht doch ermordet hat? He! Vorsicht!«
    Ich konnte das Lenkrad gerade noch herumreißen, ehe ich auf ein geparktes Auto prallte. Ich trat auf die Bremse. Hinter mir quietschten Reifen. Ich lenkte Emma in die nächste Parklücke. Der Autofahrer hinter mir tippte sich an die Schläfe.
    »Hören Sie«, sagte Krk ruhig. »Sie brauchen mir nicht zu erzählen, was es ist. Aber ich werde auch nichts mehr über diese Geschichte schreiben.«
    Wir standen am Straßenrand unter schwarzem Himmel. Es wurde schnell kalt im Auto. Verkrätzte Häuserfronten mit Satellitenschüsseln blickten auf den Neckar, der unsichtbar und dunkel hinter einer Mauer dahinzog. Keine Frau würde sich um diese Zeit noch auf den Uferweg wagen.
    »Gabi muss mildernde Umstände bekommen«, sagte ich. »Drei Jahre, dreieinhalb. Aber auch der Vater wird, falls er überhaupt angezeigt wird und die Sache nicht verjährt ist, höchstens drei Jahre bekommen. Er hat ja nicht getötet, jedenfalls nicht leiblich.«
    Krk starrte mich an.
    »Gabi wurde verstümmelt.«
    Mit einer präziseren Aussage hätte ich kaum größere Be troffenheit auslösen können. Krk blinzelte weg und versicher te sich unwillkürlich, dass bei ihm noch alles dran war.
    »Wenn Sie meinen«, sagte er schließlich, »dass Gabi sich für erlittene Qualen gerächt hat … Aber warum gerade an Uwe und warum erst jetzt?«
    »Ich glaube nicht einmal, dass Gabi imstande gewesen wä re, sich zu wehren, geschweige denn, sich zu rächen.«
    »Was Sie mir da erzählen, ist doch nicht logisch. Hat sie nun oder hat sie nicht?«
    »Wie kommt es eigentlich, dass Männer immer von Logik reden?«
    »Uwe ist immerhin tot. Das ist eine Tatsache. Ich finde es durchaus in Ordnung, dass Frauen sich wehren. Es macht zwar unser Leben riskanter …«
    »Immerhin«, resümierte ich, »haben die weltweite Hochrüstung und das Prinzip der Abschreckung uns nach landläufiger Meinung vor dem dritten Weltkrieg bewahrt und den Ostblock in die Knie gezwungen.«
    Krk sah mich mit dem Was-hat-das-eine-mit-anderen-zu-tun-Blick an.
    Ich startete den Wagen. »Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Männer sich immer nur schwächere Gegner suchen? Oder eine überlegene Bewaffnung?«
    »Jedenfalls«, sagte er, »ist mir schon aufgefallen, dass ich ein Schwein bin, weil ich ein Mann bin. Mein Schicksal.«
    Ich hielt auf die Wilhelma zu. In den alten Bäumen des Zoos nächtigten die Reiher. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen den Nachthimmel ab.
    »Übrigens«, sagte Krk. »Ich habe noch ein paar Adressen, zum Beispiel die der Vermissten aus Böblingen und die der Leiche aus Sindelfingen. Ich wollte vorhin sagen, dass wir uns, meiner Meinung nach, auf die Fälle konzentrieren soll ten, wo die Opfer entweder gar nicht oder nicht gleich gefunden wurden.«
    »Wie sollen wir das jetzt noch rekonstruieren? Wie kriegen wir raus, wo sich Uwe an einem bestimmten Tag vor zwei Jahren befand? Wir bräuchten wenigstens einen Verbündeten bei der Polizei.«
    »Haben wir nicht.«
    »Und wo haben Sie diese Adressen her?«
    »Ein einmaliger Freundschaftsdienst.« Krk rieb Daumen und Zeigefinger.
    »Na gut«, sagte ich. »Mir haben sie die Story auch weggenommen.«
    »Warum denn?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Vermutlich wegen Unfähigkeit.«
    Krk schüttelte den Kopf. »Ich vermute, das läuft so, wie wir das früher in den Kommunistischen Gruppen gemacht haben. Ein Märtyrer vor Gericht ist allemal besser, um das imperialistische – sprich patriarchalische – System zu entlarven und Proteste zu provozieren,

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