Vergeltung am Degerloch
schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte.
»Ja?«, ermunterte ich ihn.
Er ächzte. »Ich weiß ja, dass Sie … dass du …?«
Ich nickte.
Er drückte ein schiefes Lächeln in seine verlebte Mimik. Die Eroberung des Du schien ihm zu genügen. »Jedenfalls, was ich noch sagen wollte: Ich werde dir helfen. Ich bin auf deiner Seite und auf Gabis. Wir werden deine Freundin da raushauen. Wir finden eine passende Leiche.«
»Schön.«
Krk blickte zu Boden und trat zurück. »Ja dann … gute Nacht.« Er drehte sich um und ging schräg über die Straße auf das Ärztehaus zu. An der Haustür blieb er stehen, und als ich vorbeifuhr, hob er die Hand. Armer Kerl.
Ich bog in die Epplestraße, die sich menschenleer unter hellen Weihnachtsgirlanden zwischen festlichen Schaufenstern zur Weinsteige streckte.
16
Ich schlief aus verschiedenen Gründen schlecht. Oma Scheible passte mich im Treppenhaus ab. »Sie kennet’s ja net wisse, ’s hot Ihne wahrscheinlich niemand gsacht …« Es ging um das am besten geeignete Bohnerwachs für die Holztreppen. Oma Scheible betrachtete es als ihre Aufgabe, die Hausbewohner daran zu erinnern, dass man sich vor Weihnachten in Sachen Treppenhaussauberkeit und Glanz gegenseitig zu übertreffen hatte.
Die Büros waren noch still und leer, als ich halb neun in der Redaktion eintraf. Martha füllte die Kaffeemaschine in der Küche. Ich schaute in Maries Zimmer. Sie kam manchmal schon um acht, aber heute offenbar nicht.
Auf ihrem Schreibtisch lag ein Fax. Vier Seiten Schreibmaschine. Überschrift: »Geschlechterkrieg auf den Straßen«. Text: »Während im Iran Frauen ein verrutschter Schleier mit Nägeln ins Haupt geschlagen wird, in Algerien intellektuelle Frauen geschächtet werden und in Deutschland dem Kopf der iranischen Widerstandsbewegung, Maryam Radschawi, die Einreise aus dem französischen Exil verwehrt wird, weil es den außenpolitischen Interessen schadet, währenddessen geht der Femizid in deutschen Eigenheimen, in Parks und auf den Straßen weiter, und niemand regt sich darüber auf. Da muss es erst so weit kommen, dass eine junge Frau einen jungen Mann erschlägt, und schon schlagen die Wellen hoch, aber wiederum den Frauen ins Gesicht.«
Drüber stand die Fax-Nummer mit der Vorwahl der Gegend um Reutlingen. Daneben der Name Peters, dann ein paar Zahlen, dann das Datum vom heutigen Mittwoch und die Uhrzeit: 01:38. Louise hatte, nachdem Marie ihr mein kümmerliches Material gefaxt hatte, ihren Kommentar offenbar im Affenzahn geschrieben und ihn dann heute Nacht von ihrem Monrepos auf der Schwäbischen Alb an die Redaktion geschickt.
Zum ersten Mal bekam ich damit eine Nummer in die Fän ge, mit der ich Louise auf ihrem Monrepos erreichen konnte. Die Telefonnummer hatte Martha unter Verschluss. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, Louise per Fax zu bitten, mich anzurufen, um ihr zu sagen, dass in der Redaktion meinem Gefühl nach etwas verkehrt lief. Andererseits hatte Louise so prompt mit ihrem Kommentar reagiert, dass ich davon ausgehen musste, dass sie mit Maries Strategie einverstanden war.
Um in mein Büro zu gelangen, musste ich das Sekretariat kreuzen und Martha, die soeben aus der Küche kam und mich verwundert, fast erschrocken ansah, fest in die Augen blicken. Auf ihrem Schreibtisch lag in Alufolie verpackt ein Paket mit Keksen.
»Wann backen Sie das alles nur?«, sagte ich munter.
»Der Kaffee ist gleich fertig.«
»Sie sind ein Schatz!«
Martha platzierte ihre Massen am Schreibtisch und schälte die Plätzchen zärtlich aus der Folie. Es waren rombenförmige Blätterteigschnitten mit einem Guss aus Honig und Nüssen.
»Hat das gestern noch geklappt? Haben Sie diesen Kraus noch erreicht?«, erkundigte sie sich, während sie das Gebäck auf kleine Teller verteilte.
»Ja, vielen Dank«, sagte ich überrascht, dass sie von sich aus auf das Thema kam. »Aber erzählen Sie es nicht weiter. Marie ist dagegen, dass ich zu beweisen suche, dass Uwe Ihre Tochter tatsächlich angegriffen hat.«
Martha schob mir einen Teller mit Plätzchen hin. »Nehmen Sie. Sie haben es verdient.«
Ich war gerührt.
»Ich habe meine Gabi nie verstanden. Das klingt für Sie vielleicht schlimm. Aber sie war immer so verschlossen. Sie wirft mir etwas vor, aber ich weiß nicht, was. Natürlich habe ich Fehler gemacht. Ich glaube, alle Eltern machen Fehler. Ich hätte ihr vielleicht mehr vertrauen sollen. Junge Menschen haben nun mal andere Ideen als die alten Eltern.
Weitere Kostenlose Bücher