Vergeltung am Degerloch
Und trotzdem sind sie nicht schlecht.«
Der Blätterteig schmeckte nach karamellisiertem Zucker, Zimt und Nelken. »Seit fünfzehn Jahren«, sagte ich, »kochen Sie den Kaffee für die Amazonen und versorgen sie mit Gebäck. Wie können Sie das eigentlich vor Ihrem Gewissen verantworten?«
Martha starrte mich verständnislos an.
»Ich meine, wir zerstören die Ehe, diffamieren die Väter, verprügeln die Männer, verachten Heterofrauen, treiben widernatürlichen Sex und haben Ihre Tochter verführt. Ist es nicht so?«
Martha glättete die Alufolie.
»Und wir sind gegen weibliche Dienstbarkeit, gegen das Plätzchenbacken und – aus Umweltschutzgründen – gegen Alufolie.«
Martha lächelte verkniffen.
»Unter uns«, sagte ich. »Ich bin auch nicht mit allem einverstanden. Sie wollten nie, dass Gabi für uns schreibt, nicht? Dabei hat sie für die Glamour ganz hübsche Sachen verfasst.«
»Ja, sie kann schreiben. In der Schule hatte sie in Deutsch immer eine Eins. Ein paarmal ist von ihr auch was im Anzei ger erschienen. Schon als Kind hat sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und geschrieben. Aber sie hat alles vor uns versteckt.
Dann habe ich zu ihr gesagt, du kannst Schriftstellerin werden, aber zuerst lernst du kochen und dann machst du eine Ausbildung. Wer nimmt denn sonst so eine.«
»Wir glauben, dass der Wert einer Frau nicht von dem Mann abhängt, der sie nimmt.«
»Theoretisch mag das stimmen«, sagte Martha, »aber die Realität sieht doch ganz anders aus. So wie Gabi rumläuft – ich meine, wie sie sich anzieht und gibt –, kriegt sie nie einen richtigen Job. Und wovon soll sie denn leben, wenn sie mal fünfzig ist? Außerdem, niemand gibt seine Wohnung an zwei Frauen. Schon wegen der Nachbarn. Und immer bloß in dieser Szene – Sie wissen schon – herumhängen, das hat doch keine Zukunft. Und diese Beziehungen unter den Frauen, die dauern ja nie lang. Mein Gott, dann sind die zwanzig und haben schon ein halbes Dutzend Trennungen hinter sich. Das ist doch auch nicht gut.«
»Erstaunlich«, sagte ich, »wie wenig Mütter ihren Töchtern zutrauen.«
Martha wandte den Blick ab und starrte auf den Computerbildschirm. Jeder Text, der in der Zeitung erschien, und damit die gesamte Weltanschauung, ging durch Marthas Wurstfin ger in den bislang einzigen Redaktionscomputer. Dann mach te Marie damit den Satz und die Grafikerin das Layout. Martha musste sich vorkommen, als schaufle sie das Grab ihrer Tochter.
»Vielleicht haben Sie Recht«, sagte sie und schaute mich wieder an. »Ich weiß es nicht. Ich will doch nur, dass Gabi glücklich ist. Aber sie war schon immer anders. Immer so in sich gekehrt und verträumt. Und dann diese Wutanfälle. In der Schule haben sie mir gesagt, sie soll in eine Therapie. Aber ich hab damals gesagt, meine Tochter ist nicht verrückt. Heutzutage heißt es dann immer gleich, sie seien sexuell missbraucht worden. Und das geht dann immer gegen die Mütter. Egal, was ich sage, keiner glaubt mir mehr. Und für unsere Kinder sind wir plötzlich Monster. Ist doch wahr, oder nicht?«
»Was glauben Sie«, fragte ich, »warum hat Gabi Uwe erschlagen?«
»Ich glaube nicht, dass sie das wollte. Sie hat Gewalt immer abgelehnt. Sie war schon als Kind immer furchtbar außer sich und verzweifelt, wenn jemand böse zu ihr war. Das hat sie nie kapiert. Warum tun Menschen ihr was Böses? Warum sind sie böse? Sie ist oft reingefallen, weil sie an das Gute glaubte. Und dann waren die Freundinnen gar keine Freundinnen. Und Uwe, der war dann wohl auch nicht so ein Freund, wie sie gedacht hat, nicht wahr?«
»Haben Sie mit Louise gesprochen?«, erkundigte ich mich.
»Ich erreiche sie nicht. Seit Tagen schon nicht.«
»Aber heute Nacht kam ein Fax von ihr.«
»Na, vermutlich geht sie nur nicht ans Telefon. Sie geht manchmal nicht ans Telefon.«
Marie kam zur Tür herein. »Guten Morgen.« Sie wirkte frisch und ausgeschlafen. Sie ging in ihr Büro und kam mit dem Fax wieder. »Louise hat den Kommentar gefaxt. Martha, können Sie ihn gleich in den Computer tippen?«
Ungelesen?! Ich stand auf und tappte Marie hinterher in ihr Büro. Sie saß mit glänzenden blauen Augen hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch. Marie gehörte zu den wenigen blonden Frauen, die rote Blusen tragen konnten und dabei noch kühl und abwartend wirkten. Ich machte die Tür zu. Marie blickte erstaunt auf.
»Wir machen einen Fehler«, sagte ich. »Gabi ist keine Märtyrerin des patriarchalischen
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