Vergeltung am Degerloch
ihr in irgendeinen Wald. Zufall, dass die Frau aus Böblingen war. Und auch wieder kein Zufall, denn sie stieg als Tramperin zu ihm ins Auto. Sindelfingen, Böblingen, Herrenberg, alles heimatliche Gegend. Und die anderen, das sind Haltestellenangriffe: die Frau in Botnang vor zwei Jahren, und im vergangenen Jahr versucht er sich in Rohr an Susanne Schäufele. Und jetzt, nach dem Kino, auf dem Weg zur S-Bahn-Haltestelle, Gabi. Das passt doch.«
»Wo wohnte Uwe denn?«
Krk zog seinen Zettel hervor. »Berggraben 103.«
Ich kannte mich in Böblingen nur unvollkommen aus und musste ein paarmal fragen, bis wir auf dem Berggraben waren, einer Straße, die auf der Halbhöhe unterhalb der Panzerkaserne um den Berg führte. Sie endete mit sehr hohen Hausnummern im Wald. Es war bereits dunkel, als wir begannen, die Nummer 103 zu suchen. Auf der linken Seite hörten die Häuser auf einmal auf. Da war eine Mauer, dahinter Bäume, ein Friedhof.
Plötzlich wurde mir klar, dass Uwe praktisch mit Blick auf den Friedhof gewohnt hatte, auf dem er jetzt beerdigt worden war. 103 war ein Eckhaus, dreistöckig, ein wenig kasernenhaft, ockerfarben mit zwei Eingängen, einem im Berggraben und einem, der vermutlich zum nächsten Teil des Reihenkonstrukts gehörte, in der Lerchenstraße, genauer gesagt in der Lärchenstraße. Das jedenfalls stand in Fraktur auf dem Straßenschild. Ich grübelte über den Lesefehler nach, als ich begriff, worüber ich tatsächlich nachdachte: Lärchenstraße oder Lerchenstraße? Im Schwäbischen kann man akustisch ä von e nicht unterscheiden. Kurzum: Lärchenstraße 1, dort hatte die Vermisste aus Böblingen gewohnt. Im Eckhaus, genau gegenüber den Häberles.
Krk war bereits ausgestiegen und hatte sich die Fototasche auf die Schulter geschwungen. Er marschierte auf den Eingang Berggraben zu. Ich eilte ihm hinterher und hielt ihn am Arm zurück. Er fuhr jesusmäßig zusammen.
»Schau«, sagte ich. »Lärchenstraße. Da hat sie gewohnt.«
Krks viel zu große graue Augen musterten die Fassade, wie man eine Frau abcheckt: zu viel Masse, ungeschickt das grüne Kleid, hässlich.
»Wetten«, sagte ich, »Uwes Kinderzimmer geht nach hier heraus.«
Krk klingelte energisch bei Häberle, zweiter Stock. Er hat te sein abgewracktes Gesicht zu einem gewichtigen Reporterballon aufgeblasen und seine Hand mit einer Kamera bewaffnet. Ich folgte ihm als schwuler Volontär. Wir rumpelten das Treppenhaus hinauf. Die Alte stand in geblümter Schürze auf dem Treppenabsatz. Sobald er sie sah, fing Krk an zu reden: »Guten Abend, Frau Häberle. Noch einmal herzliches Beileid. Wie geht es Ihnen heute? Ich komme vom Stuttgarter Anzei ger . Erinnern Sie sich? Wir hatten schon mal das Vergnügen …« Er lachte dümmlich. »… das traurige Vergnügen, will ich meinen.
Auf dem Friedhof. Sie erinnern sich? Ich heiße Karl Kraus und das hier ist …« Er musterte mich ratlos. Ich beeilte mich, die Faust in die Hosentasche zu stopfen und mit dem charakteristischen Hüftschwung einen Sack vorzutäuschen.
»… darf ich Ihnen meinen jungen Kollegen vorstellen.« Krk nuschelte meinen Namen.
Die Alte wich in einen trüben Wohnungsflur zurück. Krk schnüffelte. Einen Moment später wusste ich, warum. Nicht, weil es nach Zwiebeln stank – das aber im ganzen Treppenhaus –, sondern weil in der Küche auf dem Wachstuch eine Flasche Korn stand.
»Entschuldigen Sie«, plapperte er weiter, während er seine Augen durch die enge Dreizimmerwohnung flitzen ließ, »dass wir einfach so hereinplatzen. Aber wir wollen die Menschen in ihrem Unglück nicht allein lassen. ›Nachgefragt‹ heißt unsere Rubrik. Sie sind doch das eigentliche Opfer, will ich meinen.«
Frau Häberle, die stumm mit den Kiefern malmte, fiel nichts Besseres ein, als die Flasche Korn im Küchenschrank verschwinden zu lassen. Ich hatte den Verdacht, dass sie bereits hackezu war. Krk legte die Kamera an. Die Alte strich sich die Schürze glatt. »Ist aber nicht aufgeräumt.«
Im Spülstein türmte sich Geschirr. Der Gasofen war verdreckt. Auf dem PVC-Boden gab es Lachen und Flecke.
»Bin gerade erst heimgekommen«, sagte sie.
»Aber das ist doch selbstverständlich«, sagte Krk. »Man muss ja auch mal die Beine hochlegen. Und nach Ihrem schweren Verlust.« Der Reporter leckte dem Weib ums Maul, dass mir schlecht wurde. Unterwürfigkeit war die wahre Unverschämtheit. Devote Köter krochen so durch den Staub und leckten dem bissigen Rudelführer die Lefzen, bis er
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