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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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ihnen den Knochen überließ. Frau Häberle war nicht einmal bissig. Im Gegenteil. Krks Verbeugungen vor ihrem schweren Schicksal brachten sie in aufgeräumte Stimmung.
    Das Bubenzimmer wurde besichtigt. Bett, Tisch, geschnitzte Holztiere auf einer Leiste überm Bett. Ein Plakat mit zerlegten Rinderrücken und Schweinehälften an der gelben Tapete. Wie erwartet, ging der Blick aus dem Fenster über die Lärchenstraße auf das Haus Nummer 1.
    Krk brachte es fertig, dass die Alte von sich aus vom Verschwinden der Kleinen von gegenüber erzählte. Man habe sich gekannt. Eine Hübsche, ein bisschen arrogant. Aber im Grund war sie auch ganz nett gewesen, obgleich studiert, sogar hilfsbereit. Aber der Bub, erklärte sie, während die Flasche Korn wieder auf dem Küchentisch erschien, habe sich noch nicht für Mädchen interessiert mit seinen siebzehn Jahren. Außerdem hatte sie ja einen Freund. »Schäpschen gefällig?«
    Krk wehrte ab.
    Sie habe dann mal mit eigenen Augen gesehen, wie die von gegenüber sich auszog, bei erleuchtetem Fenster und offenen Vorhängen. Die Jugend von heute war zu freizügig für ihren Geschmack. Der Bub habe sich auch ordentlich geschämt, weil er sie doch kannte. Er habe immer die Vorhänge in seinem Zimmer zugezogen. »Hat sich auch nie mit diesen Fotos – Sie wissen schon – beschäftigt.« Immer nur Tiere. Die Tiere waren sein Ein und Alles. Ganze Nachmittage habe er am Damhirschgehege verbracht, draußen im Wald. Immer habe er sich einen Schäferhund gewünscht, aber leider hätten sie keinen Hund halten dürfen. Als die von drüben verschwand, sei sie ja nicht zu Hause gewesen. Der Bub habe ihr erzählt, dass der Freund geklingelt und gefragt habe, ob er was wisse. Sie sei über Nacht verschwunden. »Weggelaufen, wenn Sie mich fragen.« Es war an einem Wochenende, als ihr Freund mit dem Motorrad auf Tour war. »Die haben schon auch viel Streit gehabt. Er war jünger als sie. Und sie wollte hoch hinaus.« Uwe habe sich ein bisschen angefreundet mit beiden, aber mehr mit dem Freund. Es habe den Bub mitgenommen, die Untreue von ihr. Er habe so ein starkes Gerechtigkeitsempfinden gehabt und immer so viel Mitleid. Dann sei der Freund weggezogen.
    Das Auto hatten sie tatsächlich erst kurz vor Weihnachten voriges Jahr verkauft.
    Dann mussten wir uns noch allerlei Geschichten der nähe ren und ferneren Vergangenheit Frau Häberles, geborene Marek, gefallen lassen. Es gab vor allem eine schmutzige Flucht mit den Eltern auf einem Leiterwagen aus Ostpreußen, zahllose Vergewaltigungen durch Russen und die Geburt eines Schwesterchens, an der die Mutter starb. Kurz darauf auch das Schwesterchen. »Seitdem«, sagte die Alte einfach, »habe ich keine Tränen mehr.«
    Ich entschuldigte mich aufs Klo und spickte in die gute Stube. Deutsche Eiche, unbenutzt. Auf der Anrichte standen zwei Fotos, ein Alter und ein Junger. Uwes Bild hatte eine gewisse, geglättete Ähnlichkeit mit dem Phantombild von Susanne. In der Küche hielt Krk wieder längere Reden. Ich hatte Zeit, auch noch einmal ins Bubenzimmer zu schauen. Ich zog die einzige Lade des Kinderschreibtischs auf und griff nach dem Nächstbesten, was nach Tagebuch oder Notizbuch aussah, ein schwarzes, eselsohriges Heftchen mit Karopapier und einigen wenigen Kritzeleien. Ich sackte es ein.
    Krk machte sich daran, sich aus den schnapsgetränkten Er zählfäden der Alten zu befreien. Wir arbeiteten uns zur Tür vor. Draußen auf dem Treppenabsatz seufzte er. »Bruder, sag mir, wo die Leiche ist.«
    »Im Wald beim Damhirschgehege«, sagte ich.
    Krk drehte sich zu mir um und stolperte eine Stufe abwärts. »Die Frage ist nur, ob wir sie dort auch finden.«
    »Wir lassen einfach eine Hundestaffel kommen.«
    Krk schaute sich im Treppenhaus um und schnippte mit den Fingern. »Es funktioniert nicht. Ich sehe keine Hunde.«
    Wir traten auf die Straße. Links leer, rechts niemand, nur geparkte Autos unter Straßenfunzeln und gegenüber die schwarze Wand der alten Friedhofsbäume, in denen die Spätherbststürme rauschten. Es war eiskalt. Krk fröstelte in seinem dunkelgrauen Blazer.
    »Wir müssen«, sagte ich, »dem vermissten Flittchen einen Namen geben.«
    Krk schaute wieder auf seine Liste. Für einen Journalisten hatte er ein schlechtes Gedächtnis. Vermutlich der Suff.
    »Sie heißt oder sie hieß …«, er schmunzelte, »Magdalena Titten.«
    »Wie geschmacklos in diesem Zusammenhang. Haben wir auch den Namen von ihrem damaligen Freund?«
    »Frank Baumann.

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