Vergeltung am Degerloch
Momentaner Aufenthalt unbekannt. Übrigens habe ich Frau Häberle das Phantombild gezeigt. Es gab kein Wiedererkennen. Dafür hat sie mir ein Foto von Uwe überlassen.«
Wir enterten Emma.
»Wann kriegst du deinen Führerschein wieder?«, erkundig te ich mich.
»In drei Monaten.«
»Du hast es wohl ziemlich übertrieben.«
Er zuckte mit den Achseln. »Kann sein.«
Ich suchte den Weg durch die Wohnstraßen zur Panzerkaserne. Aus unerklärlichen Gründen verfuhr ich mich in den Einbahnstraßen und landete in einem Neubaugebiet mit Grünkübeln, die mich zum Slalom und Tempo dreißig zwangen. Schließlich war ich so entnervt, dass ich den Schildern Richtung Stuttgart folgte. Wir kamen bei Böblingen Mitte auf die Autobahn, mitten in einen Stau. Die Auspüffe dampften zwischen Scheinwerfern und Bremslichtern. Die Luft bebte von Dieselrotationen. Ich dachte, irgendein Gespräch führen zu müssen. »Wie bist du zum Journalismus gekommen?«
»Durch die Schülerzeitung.«
Ich fädelte auf die linke Spur. Just in diesem Moment setz te sich die rechte Kolonne in Bewegung und die Lastwagen schoben sich an uns vorbei.
»Aber du warst dann erst mal Lehrer«, sagte ich.
Krk schwieg.
»Welche Fächer denn?«
»Deutsch und Kunsterziehung.«
»Und warum hast du aufgehört?«
»Warum kommst du nicht gleich zur Sache?«, fragte er gereizt.
Stinkige Liebespaare, deren Schatzi-Mausi-Gesäusel jäh in Du-hast-doch-gesagt-Gezerfe kippte, faszinierten mich von jeher besonders. Mein Ideal war natürlich Harmonie, aber meine Natur war nicht danach. Ich konnte auf keine Gelegenheit verzichten, in offenen Wunden zu bohren. Krk hatte mir gestern seine Liebe gestanden, eine aussichtslose Liebe, also wollte er gequält werden.
»Warum«, sagte ich, »erzählst du mir nicht einfach das, was du unter keinen Umständen erzählen willst?«
Ich passte eine Lücke im Schwerlastverkehr ab, um auf die rechte Spur zurückzuwechseln. Sofort stockte alles und kam zum Stillstand.
»Es führt zu nichts«, sagte er.
Ich beschloss, nicht noch einmal die Spur zu wechseln, obgleich die Limousinen jetzt flott auf der linken Spur vorbeirollten.
»Ich habe irgendwelche Gerüchte gehört«, sagte ich. »Du könntest sie richtig stellen. Du warst Lehrer. Was geschah dann?«
Krk suchte nach einem Haltegriff, obgleich wir praktisch standen. Seine labilen Großaugen ruhten brenzlig auf mir.
»Und dann«, lockte ich, »kam da irgendeine aufreizende Lolita.«
»Es war eigentlich eher die Mutter.«
»Na bitte, es geht doch.«
Krk schwieg beleidigt.
»Ich fasse zusammen«, sagte ich und wechselte nun doch wieder nach links. »Da gab es eine Schülerin, die sich in den jungen Lehrer verknallt hat. Die Mutter kommt in die Sprechstunde und ist desgleichen Feuer und Flamme. Die Tochter ist tödlich gekränkt. Die Mutter kommt ihm näher. Dem Lehrer wird das Ganze unheimlich. Er lässt beide sitzen und hat eine Klage wegen Unzucht mit abhängigen Minderjährigen am Hals. Er muss den Schuldienst quittieren, zieht von Hannover nach Stuttgart, um die Spuren zu tilgen, und fängt an zu saufen.«
»Die Schülerin hat sich umgebracht.«
»Oje.«
Doch Krk wirkte erleichtert. Er hatte mich – wie ich später merkte – erfolgreich von seinem eigentlichen Problem abgelenkt. Im Moment hatte ich keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Wir hatten uns der Ausfahrt Böblingen Ost genähert, und ein erneuter Spurwechsel quer über alle Fahrbahnen stand an. Ich schoss auf die Abfahrt. Krk trat gewohnheitsmäßig auf die imaginäre Bremse.
»Ich fahre seit über zehn Jahren unfallfrei«, sagte ich und musste jäh auf die Bremse steigen, dass die Reifen qualmten, weil ein Kurzentschlossener ebenfalls auf den Schleichweg scherte. Eine Weile ging es zügig auf der alten B14 durch den Wald an der Panzerkaserne nach Stuttgart. Wir passierten ein Schild, das zum Wildgehege zeigte. Krk dachte, was ich dachte. Der Wald zwischen Vaihingen, Rohr und Böblingen war verdammt groß für eine Leiche.
Ich lieferte Krk im Pressehaus ab und erwischte Anwältin Beltz telefonisch noch in ihrem Büro. Die Gemeinschaftskanzlei lag in der Rosenbergstraße, Ecke Johannesstraße im Westen der Stadt. Das Haus, in dem sie untergebracht war, war zufällig nicht eines der schönen alten Häuser, sondern eines, das in den fünfziger oder sechziger Jahren zwischen zwei Gründerzeitblöcken hochgezogen worden war. Karin Beltz öffnete selbst. In ihrem grauen Kostüm sah sie promoviert aus
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