Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
simple Berechnung auf Grundlage von Mrs …«
»Doktor«, korrigiert ihn Dave.
»… Doktor Collins’ Alter und ihrem letzten Einkommen«,fährt Sloane fort, »nach Abzug der Einkommensteuer, zuzüglich der Arbeitgeberbeiträge, der voraussichtlichen Verweildauer im Beruf in Jahren und des daraus resultierenden geschätzten Einkommens plus der zu erwartenden Zuwachszinsen, sowie abzüglich der Lebenshaltungskosten der Verstorbenen …«
»Nennen Sie Zahlen«, sagt Dave.
Aus irgendeinem Grund will er, dass Sloane es sagt, dass er die Arbeit, der Diana mit solcher Leidenschaft nachgegangen ist, die sie mit nach Hause gebracht hat, über die sie gesprochen und über die sie gelacht hat – und manchmal auch geweint –, mit einem Betrag benennt. Wie oft war er in den frühen Morgenstunden aufgewacht und hatte gemerkt, dass sie nicht mehr im Bett lag, sondern aufgestanden und in ihr kleines Arbeitszimmer gegangen war, wo sie über Notizen brütete, um herauszufinden, wie sie einem bestimmten Kind helfen konnte? Welchen Marktwert hat so was?
»2,4 Millionen Dollar«, sagt Sloane.
Man muss ihm zugutehalten, dass er Daves starrem Blick standhält und fortfährt. »Dann ist da noch der nicht-wirtschaftliche Verlust. Es gibt keine faire Methode, diesen zu beziffern. Egal, was man sagt, es klingt unglaublich unsensibel, trotzdem müssen wir es versuchen. Dabei spielt die Länge der Beziehung eine Rolle, die anzunehmende Restdauer der Beziehung, wäre es nicht … zum Tod gekommen. In diesem Fall haben wir zwei Menschen, die sich guter Gesundheit erfreuen … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe über dreißig oder mehr Jahre fortgesetzt wird … also müssen wir berechnen, was wir als ›moralischen Schaden‹ bezeichnen.«
»Und was verstehen Sie darunter?«
»Verlust an Lebensfreude und Verlust der ehelichen Lebensgemeinschaft.«
Verlust der ehelichen Lebensgemeinschaft, denkt Dave. Du hast sie nie gekannt, hast nie mit ihr geredet, bist nie neben ihr gegangen, hast ihre Hand nicht gehalten, sie nicht an dich gedrückt. Du hast ihr nie in die Augen gesehen, und jetzt sitzt du da und willst mir erzählen, was sie »wert« war?
»Wir haben den nicht-wirtschaftlichen Verlust durch Doktor Collins’ Ableben auf 1,3 Millionen Dollar beziffert. Sollten Sie die Trauerbegleitung durch die von der Airline bestellten Fachkräfte ablehnen …«
»Hab ich schon«, sagt Dave.
Was zum Teufel hätte ich zu einem Psychiater sagen sollen?, fragt er sich.
Dass ich morgens nicht aufstehen und durch die leeren Räume gehen will? Dass ich mich vor dem Einschlafen fürchte, weil ich im Traum ihre letzten Minuten im Flugzeug vor mir sehe und sie nicht retten kann? Zusehen muss, wie Diana und Jake unter Schmerzen und in Todesangst sterben? Oder dass ich manchmal träume, ich wäre mit ihnen in unserem Haus oder am Strand, und wir gehen einfach nur spazieren, aber dann wache ich auf, und sie sind immer noch weg, und es bricht mir das Herz, und ich will wieder einschlafen, um bei ihnen zu sein, aber dann kommt der Alptraum wieder …
»… und sich für eine Behandlung durch einen zugelassenen Therapeuten Ihrer Wahl entscheiden«, sagt Sloane, »wird die Airline die Kosten bis maximal 10 000 Dollar übernehmen, sofern diese die von Ihrer Krankenversicherung abgedeckten Leistungen übersteigen.«
»Ich habe nicht vor, mich behandeln zu lassen«, erwidert Dave.
»Was Jake betrifft«, sagt Sloane.
Was Jake betrifft, denkt Dave. Was Jake betrifft. So fasst du also das Leben eines kleinen Jungen mit reinem Herzen undstarkem Geist zusammen. Einem liebevollen kleinen Jungen, der …
»Auch das«, fährt Sloane fort, »erscheint gefühllos, aber wir können den Verlust des Kindes leider nur mit einem nicht-wirtschaftlichen Wert beziffern. Nach reiflicher Überlegung und Abgleich mit anderen Massentragödien sind wir zu einer Summe von einer halben Million Dollar gelangt. Unser Angebot beläuft sich also insgesamt auf 3,75 Millionen Dollar. Wenn Sie hier unterschreiben, können wir …«
»Verlassen Sie mein Haus«, sagt Dave.
»Wie bitte?«
Dave steht auf und zeigt zur Tür. »Machen Sie, dass Sie rauskommen. Sofort.«
Nehmen Sie Ihre Zahlen und Berechnungen, Ihr aufgesetztes Mitgefühl und Ihre falsche Fürsorge, und verschwinden Sie aus meinem Haus, lassen Sie mich allein mit meinen Erinnerungen und meiner Trauer, meinen Alpträumen und meinen Träumen, verschwinden Sie, und fahren Sie zur Hölle.
»Ich verstehe, dass Sie
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