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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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eine sehr schwierige Zeit durchmachen«, sagt Sloane auf dem Weg zur Tür. »Ich lasse Ihnen das angebotene Abfindungspaket zur Ansicht da, wenn Sie …«
    »Raus.«
    Dave hält die Tür auf und schlägt sie hinter ihm zu. Er lässt das »Abfindungspaket« unberührt liegen, geht in die Küche und holt sich ein Bier. Mit zitternder Hand öffnet er die Flasche.


    Dave nimmt die Glock 26 aus dem Holster.
    Geladen knapp 750 Gramm schwer.
    Zehn Schuss im Magazin, einer im Patronenlager.
    Einer genügt, denkt er. Eine Kugel, ein Kurzschluss, ein Funke in einem mit Dämpfen gefüllten Treibstofftank.
    Mehr braucht es nicht, um ein Leben auszulöschen.
    Er ist ein bisschen betrunken, aber das ist er eigentlich immer, seitdem der Mann von der Versicherung gegangen ist, und das ist jetzt ungefähr drei Wochen her. Vom Wohnzimmersofa aus, wo er den Großteil seiner Zeit verbringt, bis zur Hausbar oder dem Kühlschrank ist es nicht weit. Zum Schlafen geht er nicht mehr nach oben. Er erträgt es nicht, in dem Bett zu liegen, das er mit Diana geteilt hat, also sitzt er meistens im Wohnzimmer und trinkt sich in einen unruhigen Schlaf voller Alpträume.
    Nur zu gerne würde er diese Träume jetzt gegen die alten tauschen.
    Die Nachbarn brachten Essen. Mitfühlende Freunde boten ihm ein offenes Ohr und eine Schulter zum Weinen an, und am Anfang ließ Dave sie alle rein, nahm höflich ihre aufrichtigen Beileidsbekundungen und ihre sinnlosen Beteuerungen, helfen zu wollen, entgegen. Aber schon bald konnte er die mitleidigen Blicke nicht mehr ertragen und ging nicht mehr zur Tür. Er blieb einfach auf dem Sofa liegen und lauschte, bis das Klingeln wieder aufhörte.
    Ebenso das Telefon. Er ging nicht mehr dran, hörte nur noch Nachrichten ab. Dianas Eltern riefen immer wieder aus Bozeman an, aber er schaffte es nicht, den Hörer abzunehmen, konnte sich nicht überwinden, die Stimmen zu hören, indenen sich Spuren von Diana fanden, konnte den Schmerz nicht mit ihnen teilen.
    Auch die TSA meldete sich: Jameson ließ ihn wissen, dass er sein Gehalt weiter bekomme, aber auf unbefristete Zeit »freigestellt« sei, es bestünde kein Grund zur Eile, wieder zum Dienst zu erscheinen. Irgendein Bürokrat bat um einen Termin für ein »Gespräch« mit einem Agenten des FBI, das im Fall des erschossenen Hassan Al Hulwah ermittelte. Ein Anwalt der Gewerkschaft sprach gleich anschließend eine Nachricht auf Band und teilte ihm mit, er habe nichts zu befürchten – »begründete Notwehrhandlung« –, aber er müsse trotzdem einen Termin vereinbaren, ob er bitte zurückrufen könne.
    Dave rief nicht zurück.
    Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Terroristen ich getötet habe, dachte er. Kein einziges Mal wurden »Ermittlungen« angestrengt.
    Jetzt müssen sie auch nicht damit anfangen.
    Phil Abrams rief an – sehr sehr oft. »Dave? Dave, bist du da? Lass uns mal treffen, mein Freund. Lass uns reden. Ich mache mir Sorgen um dich. Komm schon Dave, geh dran.«
    Aber Dave konnte nicht drangehen.
    Oder er wollte nicht.
    Tag und Nacht verschwammen zu einem einzigen Grau, wurden ununterscheidbar, abgesehen von der unbarmherzigen Wintersonne, die manchmal durch die geschlossenen Vorhänge und Jalousien drang. Aus Tag wurde Nacht und die Nacht wurde zum Tag. Aus Leben wurde Tod.
    Dave Collins war eigens dafür ausgebildet worden, Unerträgliches zu ertragen. Er hatte sich immer für stark genug gehalten, alles zu überstehen, was das Leben für ihn vorsah. Ich habe mich geirrt, denkt Dave jetzt, als er sich die Pistole an die Schläfe setzt.
    Ich halte das nicht aus.
    Verzeih mir, Diana. Verzeih mir, Jake.
    Ich halte das nicht aus.
    Dann klingelt es Sturm.


    Der Mann hat ein Sixpack Budweiser unter dem Arm.
    Als er die Pistole in Daves Hand sieht, sagt er: »Schon okay, Chief. Ich bin nicht von den Zeugen Jehovas.«
    Er sieht aus wie ein alternder Hippie. Oben auf dem Kopf ist er kahl, die spärlichen Reste seines silbergrauen Haars trägt er zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden.
    »Was wollen Sie?«, fragt Dave. Wenn es ein Reporter ist, erschießt er nicht sich, sondern ihn.
    »Ich wollte ein paar Bier mit Ihnen trinken«, sagt der Mann, »sieht aus, als hätten Sie schon mal ohne mich angefangen.«
    Dave weiß, was für einen Eindruck er macht – er trägt einen alten grauen Kapuzenpulli mit Bierflecken drauf, dazu eine Jeans, die er vor zwei Jahren beim Streichen anhatte. Seine Haare sind lang, er hat sich ewig nicht mehr rasiert,

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