Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hinnehmen müssen«, sagt Wendelin. »Das NTSB wird technisches Versagen als Absturzursache feststellen, und du wirst den Kopf einziehen und es hinnehmen.«
»Blödsinn.« Es geht nicht einfach nur um richtig oder falsch, oder den guten Ruf der Fluggesellschaft. Es geht um hunderte Millionen Dollar – wenn es ein Terroranschlag war, ist die Fluggesellschaft den Angehörigen der Opfer gegenüber nicht haftpflichtig. Das ist entsetzlich kaltblütig, Bell weiß das, aber er hat eine gewisse Verantwortung gegenüber den Aktionären. Außerdem wird die Versicherung der Fluggesellschaft nicht so einfach lockerlassen – dort wird man Antworten verlangen, bevor derartige Unsummen freigegeben werden.
Wendelin macht Bell keinen Vorwurf – er muss seine Firma verteidigen, das gehört zu seinen Aufgaben. Aber Wendelins Job ist ein ganz anderer. Also sagt er: »Howard, ich fick dich, und ich sag dir nicht mal warum. Kein Kino, kein Dinner, keine Blumen – ich halte dir nicht einmal einen Vortrag über die übergeordneten Interessen der nationalen Sicherheit, und ich appelliere auch nicht an deinen Patriotismus. Ich sage dir nur, dass es auch im Interesse von Eagle Airlines das Beste ist, wenn es sich um einen Unfall gehandelt hat.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwidert Bell. »Wenn wir unsere Haftpflicht anerkennen, kostet uns das Millionen.«
Wendelin richtet sich auf und sieht Bell direkt in die Augen. »Das ist Kleinkram im Vergleich zu dem, was es euch kostet, wenn die Bearbeitung der von euch beantragten neuenStreckenrechte bis auf Weiteres auf Eis gelegt wird. Oder die Prüfung der geplanten Fusion mit National beim Handelsministerium über ein Jahr in Anspruch nimmt. Dann könnt ihr Insolvenz anmelden. Und wenn ich heute nicht die Antwort von dir bekomme, die ich hören möchte … Was mach ich morgen? Ich gehe mit dem Vorsitzenden eurer Gewerkschaft joggen, dem fällt sicher ein, dass mal wieder ein Streik fällig ist.«
Wendelin widmet sich erneut seinen Schnürsenkeln.
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Dave steht vor einem Sarg.
Das lebensgroß nachgebaute Skelett von Eagle 211 im Hangar. Einige geborgene Wrackteile – Sitze, Metalltrümmer, Buchstücke aus dem Rumpf – befinden sich wieder an ihrem ursprünglichen Platz, der Rest der Attrappe besteht aus Aluminium.
In den Wochen seit dem Flugzeugabsturz – seit Diana und Jake tot sind – wollte Dave mit niemandem sprechen, wollte mit seiner Trauer und seinen Erinnerungen allein sein. Und mit der entsetzlichen Vorstellung, was sich in dem Flugzeug abgespielt haben muss.
Er kann die Bilder nicht abschütteln.
Auch nicht den Gedanken, dass jemand durch eine Lücke seines Systems gelangt ist und eine Bombe ins Flugzeug geschmuggelt hat.
Dass er versagt hat und es seine Schuld war.
Jetzt steht er in dem alten Hangar auf Long Island, wo das NTSB seine Ermittlungszentrale aufgeschlagen hat, möglichst nah an der Stelle, wo das Heck ins Wasser stürzte.
Sämtliches Beweismaterial, das geborgen werden konnte, wurde in diesem Hangar zusammengetragen, in der Hoffnung, das Geschehene rekonstruieren zu können. Ermittler des NTSB, Mitarbeiter von Eagle Airlines und ein Evidence Recovery Team des FBI arbeiten rund um die Uhr im Schichtdienst. Seit dem Absturz sind sie unermüdlich dabei.
»Wir wollten dir die Ermittlungsergebnisse noch vor der Veröffentlichung mitteilen«, sagt Matt Jameson.
Phil Abrams steht neben ihm. »Es war keine Bombe, Dave. Wir dachten, dass wir dir das sagen sollten.«
»Wie habt ihr das festgestellt?«, fragt Dave.
Jameson erzählt ihm alles über die Bergung der Wrackteile, die akribische Rekonstruktion des Flugzeugrumpfs und die Befragung der Zeugen.
Auf einem Klapptisch aus Metall steht die Black Box, die inzwischen von Tauchern der Navy gefunden wurde.
»Es gab kein Mayday-Signal«, sagt Jameson. »Was auch immer passiert ist, es muss sehr schnell gegangen sein. Aber hör dir das an.«
Er spielt eine Stelle der Aufzeichnungen aus dem Cockpit vor.
Alles normal, dann hört Dave ein lautes Krachen.
»Wir glauben, das war der Auslöser«, sagt Jameson. Er spult an die Stelle vor, an der Peterson schreit: » Eagle Two-One-One ! 416 Menschen an Bord! Kein Antrieb, unkontrollierbarer Sturzflug, eine Explosion! Vater, der du bist im Himmel …«
»Was sagt der Flugdatenschreiber?«
»Normaler Steigflug«, sagt Phil. »Dann sackt die Maschine plötzlich ab, steigt ebenso plötzlich wieder auf und stürzt ab.«
Sie gehen mit Dave an einen anderen
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