Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Donovan. »Ihr bekommt keine Unterstützung, weder Panzer noch Beschuss aus der Luft. Und ihr habt keine Zeit – wir können nur rein, das Gelände sichern und tun, was wir tun müssen, wir besitzen keinerlei Legitimation. Hier sind wir die Banditen. Also …«
Hundertzwanzig Sekunden lagen zwischen dem Betreten und dem Verlassen des Anwesens. Rein, Zielpersonen finden, terminieren, geheimdienstlich Verwertbares mitnehmen und raus.
Innerhalb von zwei Minuten.
»Michel hat die Uhr«, sagte Donovan, »und gibt euch die Zeit durch, aber ich will, dass sie auch in euren Köpfen tickt. Zählt runter. Wenn ihr bei Null seid, seid ihr draußen, egal was sonst passiert.«
Er fixierte Dave und wiederholte: »Egal, was.«
Der Einsatz ist extrem zeitempfindlich. Nicht nur dürfen sie sich nicht lange im Zielgebiet aufhalten, auch der Helikopter muss zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt am extraction point sein, ohne dort stehen bleiben zu können, wie im Irak oder in Afghanistan. Er kann zwei Durchgänge fliegen – maximal – dann muss er weg, bevor er auf dem kenianischen Radar auftaucht. Lange vor Beginn der Morgendämmerung muss er wieder auf dem Schiff sein, und das Schiff muss wieder Fahrt aufgenommen haben.
Wer nicht rechtzeitig am extraction point ankommt, treibt auf dem indischen Ozean und ist ab Sonnenaufgang allem und jedem hilflos ausgeliefert.
Dave weiß, dass er zwei Minuten hat, um einzudringen, die beiden Männer zu töten, die seine Familie auf dem Gewissen haben, und wieder zu verschwinden.
Heute Abend ist es so weit.
Die Zeitplanung richtet sich größtenteils nach dem Wetter. Zieht ein Gewitter auf und sorgt für eine stürmische See, muss der Einsatz abgesagt werden. Starke Winde würden verhindern, dass der Helikopter starten kann.
Das nächste Problem ist der Mondzyklus – bei Vollmond können sie die Mission nicht starten.
Sie würden entdeckt werden, bevor sie auch nur den Strand erreichen.
Und dann die Gezeiten. Das Infiltrieren muss bei Flut stattfinden – sie können nicht gegen die Ebbe anpaddeln und wollen auch nicht an einem zu breiten Strand anlegen.
All diese Faktoren müssen in ein und demselben Moment zusammenkommen.
Und zwar schon bald, bevor sich die Kunden entscheiden weiterzuziehen.
Also ist es diese Nacht so weit.
Zunehmender Sichelmond, Wasser steigend bis zwei Uhr fünf, Wetterprognose gut.
Die Nacht ist schwarz.
Dave sitzt in der Dunkelheit, die nur durch die Lampen im Cockpit durchbrochen wird, während der MH-60 PAVE tief über den indischen Ozean fliegt.
PAVE steht für Precision Avionics Vectoring Equipment , dabei handelt es sich um Hightech-Elektronik, die Bobby hilft, nachts zu navigieren. An seinem Flughelm ist ein AN/AVS-6-Nachtsichtgerät befestigt. FLIR( Forward Looking Infrared )- Kameras zeigen »Hitze«-Bilder von entgegenkommenden Objekten. Eine Radarwarnanlage und ein Infrarot-Blockierer erlauben der Maschine, sich in der Dunkelheit zu verstecken.
Der MH-60 wurde dafür entworfen, Spezialkräfte nachts in Operationsgebiete einzuschleusen, ohne entdeckt zu werden.
Angetrieben durch zwei GE T700 Turboprop-Motoren, erreicht der MH-60 eine Spitzengeschwindigkeit von 360 Stundenkilometern und dank des externen Treibstofftanks eine maximale Streckenkapazität von mehr als 800 Kilometern. Mit 19,5 Metern Länge wird er in der Regel von einer vierköpfigen Crew bedient – Pilot, Co-Pilot, Flugingenieur und Schütze –, aber heute muss eine abgespeckte Crew reichen.
Einen Schützen brauchen sie nicht, weil der Heli weder die beiden standardmäßigen M240D-Maschinengewehre noch M134G Miniguns an Bord hat.
Der Feind soll nicht aus der Luft angegriffen werden.
Bobby ist sein eigener Flugingenieur.
Und was den Co-Piloten betrifft, so handelt es sich um einen Fall von HPBN.
Hoffentlich passiert Bobby nichts.
Eigentlich könnten auch Cody oder Ulrich den Hawk fliegen – aber keiner versteht so irre viel davon wie Bobby Douglas. Sie werden ihn brauchen, denn der MH-60 Black Hawk ist – wie Dave aus bitterer persönlicher Erfahrung weiß – auch bekannt als »Crash-hawk« oder »Rasenpfeil«. Er stürzt gerne mal ab.
Im Helikopter kauern zehn Männer auf dem Boden, dazu die Ausrüstung und die beiden CRRC – Combat Rubber Raiding Crafts – weshalb die Sitze und auch sonst alles Überflüssige rausgenommen wurden.
Trotzdem sitzen die Männer dicht gedrängt. Daves Knie berühren die von Ulrich, und Codys Ausrüstung drückt sich Dave in die Seite.
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