Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
navigieren ihre Boote mit Stöcken.
Ein Boot stößt an den Brunnenrand, bleibt in der künstlichen Strömung hängen, bis es vom spritzenden Wasser befreit wird.
Wenn Aziz in Paris ist, kommt er immer hierher.
Er sieht den Jungen gerne beim Spielen zu, ihre Aufmerksamkeit gilt ihren Booten, den imaginären Seereisen und der Angst, dass ihre Mutter, der Großvater oder die Kinderfrau rufen, bevor alle Abenteuer bestanden sind.
Heute aber fühlt er sich auf dem großen offenen Platz schutzlos ausgeliefert. Als würde er beobachtet, als könnte jeder Passant zum Attentäter gegen ihn werden. Er stellt sich vor, wie die Kugel ihn ins Rückgrat, den Magen oder das Gesicht trifft.
Es macht ihn wütend.
Er reißt sich vom Teich los und widmet sich wieder seinen Geschäften. Er geht über den Kiesweg durch den Apfelgarten und denkt an Baseyews letzte Nachricht.
Malouf ist ein Schwein, denkt Aziz, aber ein nützliches Schwein.
Ein alter Lustgreis, der ständig Possen reißt, aber keinesfalls ein Idiot.
»Können wir das Risiko eingehen?«, hatte Baseyew gefragt.
Können wir das Risiko nicht eingehen?, fragt sich Aziz jetzt. Wenn wir nach Lamu nicht zurückschlagen, und zwar bald, wird man uns das als Schwäche auslegen. Die Schutzgeldzahlungen werden zurückgehalten, Sponsoren lassen sich am Telefon verleugnen, und die Drogenhändler werden sich bei der Konkurrenz umsehen.
Trotzdem möglich, dass wir den Hals in die Schlinge stecken.
Saif war ein herber Verlust, aber ein verkraftbarer. Der junge Amerikaner war unwichtig. Aber Dahir und Baseyew – sie sind viel zu wichtig, als dass er sich leisten könnte, sie zu verlieren. Entscheidende Rädchen in der Maschine. Nein, er wird sie anweisen, Maloufs Einladung abzulehnen und sich anderswo nach dem BoNT umsehen. Er hat sich entschieden, er geht am Marionettentheater vorbei. So gerne er stehenbleiben würde, er hat keine Zeit.
Er verlässt den Park und betritt die Rue d’Assas.
Die weiße Limousine hat getönte Scheiben. Sie hält an der Ecke, die hintere Tür geht auf, und Aziz steigt ein.
Yusufs Leibwächter durchsuchen ihn auf Waffen und Verkabelung und finden weder das eine noch das andere.
»Ich habe Schlechtes gehört«, sagt Yusuf ohne weitere Einleitung.
Zweifellos wurde ihm von den Haqqanis und Hekmatyars schadenfroh und mit Krokodilstränen in den Augen zugeflüstert, was sich auf Lamu ereignet hat, denkt Aziz. Seine Rivalen würden nichts lieber tun, als ihn aus Yusufs Gunst zu vertreiben. Weil sie selbst auf sein Geld scharf sind.
»Wir haben einen kleinen Rückschlag erlitten«, sagt Aziz.
»Ich habe gehört, du bist jetzt auf der Flucht«, sagt Yusuf. »Du läufst vor den Amerikanern davon. Versteckst dich.«
In seiner Stimme liegt Abscheu.
»Aber ich bin doch hier, Scheich Yusuf.« Aziz weiß, dass er die Schlacht mit Abwehr allein nicht gewinnen wird, also geht er in die Offensive. »Meine Leute haben mit einer Überweisung gerechnet, aber sie kam nicht.«
»Ich habe sie nicht abgeschickt.«
»Darf ich fragen, warum?«
»Nur ein Idiot wirft gutes Geld schlechtem hinterher«, erwidert Yusuf.
»Das ist schade«, sagt Aziz. »Wir hatten einiges vor mit dem Geld.«
»Was zum Beispiel?«
»Das spielt jetzt keine Rolle.«
»Ich will es wissen.«
»Die Amerikaner haben nach dem Anschlag auf Flug 211 laut geheult«, sagt Aziz. »Aber das nächste Attentat wird ein Wirbelwind im Vergleich zu dem zarten Lüftchen des letzten. Wir lassen Trauer in jedes Haus einziehen. Wir bringen ihnen unermessliche Schmach.«
»Wie?«
Aziz erzählt von dem BoNT. Er hört Yusuf flacher atmen, spürt die Erregung des alten Mannes, seine Blutgier. Also schließt er: »Du hast die Bankverbindung. Wenn du überweist, sehr schön. Wenn nicht, dann al salam alykoum , es war mir eine Ehre. Lass mich hier bitte raus.«
Der Wagen hält.
Yusuf legt seine Hand auf die von Aziz. »Ich bin ein blinder alter Mann.«
»›Nicht die Augen erblinden‹«, zitiert Aziz den Koran, »›sondern das Herz.‹«
Er steigt aus dem Wagen.
Von einem in einem Kellerlokal versteckten Telefon aus schickt Aziz Baseyew die Nachricht.
Mach ein Treffen aus.
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Dana Wendelin fährt durch das Ghetto von Anacostia im Südosten von Washington DC und hält vor JBAB – Joint Base Anacostia-Bolling. Der frühere Air-Force Stützpunkt ist heute außerdem Sitz des DIAC – Defense Intelligence Analysis Center.
Er weist sich gegenüber dem Air-Force-Sicherheitsbeamten am Tor aus und rollt
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