Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
auf den ihm zugewiesenen Parkplatz. In der Lobby des DIAC hält er einen Augenblick vor der Tafel zum Gedenken an die einundzwanzig in Ausübung ihrer Dienstpflicht getöteten DIA-Mitarbeiter. In jüngerer Vergangenheit sind die sieben Namen der am 11. September im Pentagon gestorbenen dazugekommen.
Major Robert Perry wurde in einem jordanischen Flüchtlingslager von einem palästinensischen Schützen erschossen.
Judith Goldenberg in einem Kairoer Hotel erstochen.
Celeste Brown, Vivian Clark, Dorothy Curtiss, Joan Pray, Doris Watkins kamen 1975 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, als sie Waisenkinder aus Saigon herausholen wollten.
Wendelin geht in sein Büro in den fünften Stock, vorbei an den Kabinen der Analysten und Sekretärinnen. Dank des Panoramafensters hat er einen ausgezeichneten Blick sowohl auf das Potomac Airfield wie auf den Anacostia River. Er liest seine Mitteilungen, schreibt ein paar E-Mails, telefoniert, verlässt die DIAC-Büros und geht zu einem unscheinbaren Gebäude dahinter – einem ehemaligen Lagerschuppen – auf der Airbase.
Auf einem Schild an der Wand neben der Tür steht: »Documentation Coordination and Disposal« – eine Bezeichnung, die keinerlei Neugier aufkommen lässt. Vordergründig haben die Mitarbeiter des DCD die Aufgabe, hunderttausende von digitalisierten Dokumenten zu sortieren und in Akten einzuordnen, die entweder aufbewahrt oder vernichtet werden.
Wendelin zieht seinen Ausweis über den Sensor, und die Tür öffnet sich.
Im Inneren stehen einige schlichte Schreibtische, ein paar Stühle, eine Kaffeemaschine und eine Reihe von Computern. Die Stühle sind von vier zivilen Mitarbeitern der DIA besetzt –zwei Veteranen, ein junger Mann, offensichtlich ein ausgewiesener Computerfreak, und eine junge Frau, die Wendelin nur als »Cheryl« kennt.
Dies ist die inoffizielle, praktisch gar nicht existente Einheit, die intern als AWG bezeichnet wird – Aziz Working Group . Außerhalb dieses Raums weiß niemand, dass es sie gibt – weder Wendelins Chef bei der DIA noch der Vizepräsident, noch die CIA.
Wendelin schenkt sich einen Kaffee ein – er schmeckt scheußlich – und zieht sich einen Stuhl heran.
»Habt ihr was für mich?«
Cheryl hat krauses rotes Haar und ist angezogen wie eine Doktorandin im Fachbereich Geschichte an irgendeiner Durchschnittsuniversität – weiter Pulli und Jeans. Wendelin hat sie von der University of Northern Illinois geholt, nachdem er ihre Dissertation über »Marineaufklärung im Krieg von 1812« gelesen hatte. Die eigentlichen Forschungsergebnisse waren wertlos, aber die wissenschaftliche Methode war genial.
»Tatsächlich«, sagt Cheryl und schiebt sich die Brille höher auf die Nase, »haben wir sogar was. Sehen Sie sich das an. Danny?«
Danny, der Freak, zieht einen Videoclip auf den Bildschirm.
»Wir haben uns gedacht, dass Aziz’ Leute wahrscheinlich in Europa geblieben sind, weil sie an den Grenzen dort keine Pässe vorweisen müssen«, sagt Cheryl. »Wir wissen, dass sie nicht fliegen, das bedeutet, sie benutzen Autos oder Züge. Bei der Suche nach Autos kam nichts Verwertbares heraus, also haben wir uns von allen europäischen Bahnhöfen, sofern vorhanden, das Material aus den Überwachungskameras schicken lassen. Tausende von Stunden, dann endlich haben wir das hier gefunden.«
»Was sehe ich da?«, fragt Wendelin.
»Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus Barcelona-França«, erwidert Cheryl. »Halt mal an, bitte. Sehen Sie den Mann da, der aus der Tür kommt?«
Wendelin setzt seine Lesebrille auf und betrachtet das körnige Bild eines Mannes im Nadelstreifenanzug mit Aktentasche.
»Verdammt, ist das Dahir?«
»Kannst du’s einblenden, bitte.«
Ein altes Foto von Dahir, aufgenommen vom Muchabarat, taucht transparent über dem Bahnhofsbild auf. Der Mann ist gealtert, aber die Gesichtszüge sind identisch.
»Das nächste bitte, Danny.«
Ein weiteres Standbild vom Bahnhof. Eine Gruppe von drei Männern, eindeutig orientalischer Herkunft, folgen Dahir.
»Das sind Leibwächter«, sagt Wendelin.
»Auch das spricht für Züge«, sagt Cheryl. »Man kann Waffen mitnehmen.«
Verständlich, denkt Wendelin.
Aber was will Aziz’ Finanzchef in Barcelona?
✦
Dave und Amir sitzen an der Bar des Gran Hotel La Florida.
Gestern hatte Georges Malouf Dave in einem Hotelzimmer in Madrid angerufen. »Barcelona. Hotel La Florida. Kennen Sie das?«
»Nein.«
»Morgen. Fünfzehn Uhr. An der Bar. Die potentiellen
Weitere Kostenlose Bücher