Vergeltung
und hinter den Fensterscheiben der meisten Häuser um die Dorfwiese herum war das diskrete Leuchten von Lampen hinter Stores und Fensterläden zu sehen. Es gab ein paar Straßenlaternen, aber keine Gruppen von Jugendlichen, die darunter herumlungerten. So etwas wie Randale und asoziales Verhalten kannte man hier nicht. Es galt schon als Affront, wenn man beim Rausstellen des Leerguts laut mit den Flaschen klapperte.
Carol bog in die schmale Gasse ein, die zum Haus ihrer Eltern führte. Es war das letzte von drei Häusern, und als sie davor anhielt, fiel das Licht ihrer Scheinwerfer auf die reflektierende Schrift eines Polizeiwagens, der in einer Toreinfahrt etwas weiter vorn in der Gasse versteckt stand. Carol stellte den Motor ab, stieg aus und wartete, bis die Kollegin aus dem Auto kam und sie überprüfte. Sie war als Kontaktperson und zur Betreuung der Familie eingesetzt worden.
Die Polizistin schien ungefähr in Carols Alter zu sein, aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Es war eine plump wirkende Frau mit dunklem Haar, durch das sich kräftige graue Strähnen zogen; es war zu einem unvorteilhaften Knoten unter ihrer Uniformmütze zurückgebunden. Ihre Haut zeigte die Spuren starker Akne, sie hatte eng stehende Augen und eine spitze Nase. Aber wenn sie lächelte, wurde ihr Gesicht mitfühlend und gütig, und Carol verstand, wieso es gekommen war, dass sie eine Arbeit machte, die wenige Polizisten gern taten.
»DCI Jordan, nicht wahr?«, sagte sie. »Ich bin PC Alice Flowers. Ich bin schon seit halb fünf hier vor Ort, und niemand ist in die Nähe des Hauses gekommen. Außerdem habe ich die Bewohner hin und her gehen sehen, es gibt also keinen Anlass zur Sorge, dass vor Ihrem Eintreffen etwas passiert sein könnte.« Der leichte Anklang des Dialekts von Oxfordshire war genauso beruhigend wie ihr Lächeln. »Ich wollte nur sagen, mein herzliches Beileid wegen Ihres Bruders.«
Carol würdigte ihre Worte mit einem Kopfnicken. »Ich war noch nie besonders gut im Überbringen von Todesnachrichten«, sagte sie.
»Deshalb muss man sich nicht schämen«, erwiderte Alice. »Sollen wir es hinter uns bringen, Ma’am?«
Carol griff in den Wagen, nahm ihren Mantel, zog ihn über und stellte den Kragen hoch. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gehen wir also«, sagte sie und nahm die Schultern zurück. Innerlich betete sie um die nötige Gelassenheit.
Sie gingen den Steinplattenweg entlang zwischen den Buchshecken, die ihr Vater immer ganz genau auf Kniehöhe schnitt. Ein hölzernes Vordach überschirmte die Haustür, und Carol ging auf sie zu. Alice blieb diskret ein paar Schritte hinter ihr, als sie die Türglocke läutete. Stille, ein Schlurfen, dann ging über ihren Köpfen eine Lampe an.
Die Tür wurde geöffnet, und Carols Mutter stand vor ihnen. Sie sah aus wie eine ältere und weniger schicke Version ihrer Tochter. Der Ausdruck milder Neugier auf ihrem Gesicht wich dem Erstaunen. »Carol! Was für eine Überraschung! Du hättest anrufen sollen.« Sie lächelte. Dann, als sie Carols Gesichtsausdruck und die uniformierte Polizistin hinter ihrer Tochter wahrnahm, erstarrte sie und schlug die Hand vor den Mund. »Carol?«, rief sie mit unsicherer Stimme. »Carol, was ist passiert?«
36
K evin setzte sich auf eine Ecke von Paulas Schreibtisch. Sie blickte nicht einmal von dem Bericht auf, den sie gerade las. »Was?«, fragte sie.
»Die Putzfrau vom Motel – die, die von dem nassen Teppich erzählt hat … Sie ist abends im Teppichlager und putzt dort. Ich dachte, ich schau da mal vorbei und stelle ihr ein paar Fragen. Hättest du Lust mitzukommen?«
»Nein«, antwortete sie. »Ich bin fast fertig mit diesen Berichten über die Tür-zu-Tür-Befragungen, und dann gehe ich in die Wohnung der Chefin, um ihren Kater zu versorgen. Er wird einen Riesenhunger haben, wenn ich noch länger warte.«
»Ach, komm, Paula«, bettelte Kevin. »Du weißt doch, dass du besser mit Frauen umgehen kannst als ich.«
»In jeder Hinsicht«, rief Chris von ihrem Schreibtisch herüber.
Kevin tat so, als sei er beleidigt. »Zumindest gebe ich es zu. Sie ist Türkin, Paula. Wahrscheinlich arbeitet sie schwarz. Vor mir wird sie Angst haben. Du wirst sie zum Reden bringen können.«
Paula seufzte. »Ich habe versprochen, Nelson zu holen.«
»Ist Elinor zu Haus?«, fragte Chris.
»Sollte sie sein.«
»Dann mach ich es«, bot Chris an. »Ich muss sowieso los, um mit den Straßenmädchen zu reden, mal sehen, ob eine von
Weitere Kostenlose Bücher