Vergeltung
»Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Ich glaube, ja, Alvin. Einer meiner Männer hat eine SIM-Karte entdeckt, die unter einer Schreibtischschublade in der Garage festgeklebt war. Wir haben sie überprüft, um uns die Anrufliste anzuschauen. Komischerweise waren keine Anrufe aufgelistet. Sieht aus, als wäre sie für Anrufe nie genutzt worden. Aber eine von meinen Mädchen kennt sich aus mit solchen Dingen und hat herausgefunden, dass er den Kalender genutzt hat. Er ist voller Termine – Uhrzeiten, Datum und Ortsangaben, die meisten unten in London. Auch Telefonnummern und E-Mail-Adressen.«
Das war der erste Hinweis, der nach so etwas wie einem Durchbruch aussah, und Ambrose spürte, dass seine Aufmerksamkeit wuchs. »Können Sie mir die Informationen übermitteln? Ausdrucken oder was auch immer?«
»Meine Mitarbeiterin sagt, sie kann es in die Cloud hochladen, und Sie können es von dort runterladen«, sagte Davy skeptisch. »Ich habe keine Ahnung, was sie meint, aber sie sagt, es ist ganz leicht.«
»Das ist prima. Bitten Sie sie einfach, mir eine Mail mit den Anweisungen zu schicken, wenn es so weit ist. Danke, Robinson, großartige Arbeit.«
Ambrose legte auf und grinste wie ein Idiot. Es schien, dass die Freitagsregel endlich Geschichte war. Er fand, das sollte gefeiert werden. Vielleicht hatte er Zeit, im Pub vorbeizuschauen auf ein schnelles Bier, bevor die Informationen aus Newcastle durchkamen. Heute Abend konnte er ja sowieso nicht mehr viel damit anfangen.
Als er sich gerade erhob, stürmte ein rotgesichtiger Constable gehetzt in den Raum. Einen Moment fragte sich Ambrose, ob ein gnädiger Glücksfall zu Vance’ Verhaftung geführt hatte. Sehr oft wurden Serienmörder durch Zufälle entlarvt, der Yorkshire Ripper, weil sein Auto gefälschte Nummernschilder hatte; Dennis Nilsen, weil die Leichenteile, die er durch die Toilette hinuntergespült hatte, den Abfluss verstopften; Fred West, weil eines seiner Kinder einen Witz über ihre Schwester Heather machte, die »unter der Veranda« liege.
»Sie sind doch mit dem Profiler bekannt, oder? Der, der in das große Haus unten beim Gheluvelt Park gezogen ist?« Er klang aufgeregt.
Was hatte Tony jetzt bloß wieder angestellt, fragte sich Alvin. Er hatte seinem Freund schon einmal aus einer peinlichen Situation im Haus heraushelfen müssen. Es hörte sich an, als sei eine weitere im Anmarsch. »Tony Hill? Ja, ich kenne ihn. Was ist los?«
»Sein Haus. Es brennt. Kollegen auf Streife sagen, es ist ein totales Inferno.« Plötzlich dämmerte dem jungen Polizisten, dass seine Aufgekratztheit vielleicht nicht ganz angebracht sein könnte. »Ich dachte, Sie würden es vielleicht gern erfahren, Sir«, beendete er seine Nachricht.
Ambrose kannte Tony noch nicht lange. Er konnte nicht behaupten, gut mit ihm befreundet zu sein. Aber er verstand eines, nämlich, dass das Haus am Gheluvelt Park dem kleinen Psychologen irgendwie viel mehr bedeutete als bloßer Backstein und Mörtel. Weil er Tony Hill sehr mochte, hieß das, Ambrose konnte die Nachricht, die er gerade bekommen hatte, nicht ignorieren. »Diese Scheißfreitagabende«, murmelte er wütend. Er nahm seinen Mantel und blieb dann stehen, als ihm ein schrecklicher Gedanke kam.
Er drehte sich um und starrte den jungen Constable an. »War das Haus leer?«
Seine Betroffenheit war deutlich. »Ich … ich weiß nicht. Es wurde nichts darüber gesagt.«
Ambrose verzog das Gesicht. Gerade wenn man dachte, es könne nicht mehr viel schlimmer werden, wurde es so richtig schlimm.
37
O bwohl Chris wusste, dass Carol in der Souterrainwohnung von Tonys Haus wohnte, hatte sie irgendwie mehr erwartet. Sie war daran gewöhnt, dass dienstältere Vorgesetzte die größte Hypothek aufnahmen, die sie sich erlauben konnten, um das protzigste Haus zu kaufen, das sie sich leisten konnten. So wie Carol Jordan hier in drei Zimmern mit einer winzigen Küche und einer Nasszelle wohnte, das kam einem seltsam vorläufig vor, als sei sie unentschieden, ob sie Bradfield genug mochte, um dazubleiben. In den guten alten Tagen waren sie, ohne es zu wissen, Nachbarinnen im Barbican-Komplex in London gewesen. Diese geräumigen, eleganten und imposanten Wohnungen waren die Umgebung, in der eine Frau wie Carol Jordan leben sollte. Nicht dieses unterirdische Schlupfloch, auch wenn es ganz ansprechend war.
Während Chris sich tadelte, dass sie sich benahm wie der Moderator einer Reality-TV-Stilberatung, fand sie den Transportkorb unter
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