Vergeltung
berüchtigtsten und verheerendsten Serienmörder, den Großbritannien je hervorgebracht hatte, frei herumlief und scharf darauf war, für die verlorene Zeit Vergeltung zu fordern.
Diesmal stand das Grinsen viel länger als ein paar Minuten auf seinem Gesicht.
9
P aula schob ihre Papiere zusammen und unterdrückte ein Gähnen. »Ich bin dann so weit, wenn Sie auch fertig sind«, sagte sie und kam näher an das Whiteboard heran, das an einer Wand des vollgestopften Büros der Einsatzgruppe entlanglief. Carol fragte sich, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Paula hatte sich ja noch länger am Tatort aufhalten müssen, um dafür zu sorgen, dass alles nach den Erfordernissen des Sondereinsatzteams ablief. Dann hatte sie mit den Kollegen vom Präsidium der Northern Division dorthin zurückkehren müssen, um die Arbeitsabläufe für die Frühschicht festzulegen, auch dies nach Carols genauen Vorgaben. Und jetzt hatte sie die Aufgabe, bei der morgendlichen Einsatzbesprechung dem engen Kollegenkreis zu berichten. Hier wusste jeder um die individuellen Macken der anderen, und zwar so gut, wie man es sonst nur von Lebensgefährten kannte.
Das war Carols handverlesenes Team, das sie zur besten Einheit gemacht hatte, mit der sie jemals zusammengearbeitet hatte. Wenn James Blake nicht die Stelle des Chief Constable bekommen und sich persönlich die Aufgabe gestellt hätte, die Kosten radikal herunterzufahren, lange bevor der Premierminister diese Idee hatte, dann wäre sie gern bis zu ihrer Pensionierung bei diesem bunten Haufen geblieben. Stattdessen stand sie nun kurz davor, wieder mal einen Sprung ins Ungewisse zu tun. Nur kam es ihr diesmal vor, als folgte sie, statt selbst die Richtung vorzugeben. Nicht gerade die beruhigendste Aussicht, die sie jemals vor sich gehabt hatte.
»Besprechung in fünf Minuten«, rief sie, um ihnen Zeit zu geben, die Dinge abzuschließen, mit denen sie beschäftigt waren. Stacey Chen gab ein Brummen von sich. Die Computerspezialistin war hinter ihrer Reihe von Rechnern kaum auszumachen. Sam Evans, in ein Telefongespräch vertieft, gab ihr ein zustimmendes Zeichen mit hochgerecktem Daumen. Ihre zwei Sergeants, Kevin Matthew und Chris Devine, hoben die Köpfe, die sie über ihrem Kaffee zusammengesteckt hatten, und nickten.
»Hast du alles, was du brauchst?«, fragte Carol.
»Glaub schon.« Paula griff sich ihren Kaffee. »Northern hat mir alles über die zwei ersten Todesfälle geschickt, aber ich hatte noch keine Zeit, es im Detail durchzugehen.«
»Tu dein Bestes«, ermunterte sie Carol und ging auf die Kaffeemaschine zu, um sich einen Caffè Latte mit einem extra Schuss zu machen. Noch etwas, das ihr fehlen würde. Sie hatten sich zusammengetan, um die italienische Kaffeemaschine zu kaufen und ihre Sucht nach Koffein zu befriedigen. Außer Stacey, die auf Earl Grey beharrte. Carol bezweifelte, dass es in Worcester etwas Vergleichbares geben würde.
Und apropos fehlen: keine Spur von Tony. Trotz seiner kühnen Versprechungen schien es, dass er es doch nicht geschafft hatte zu liefern. Sie versuchte, die Enttäuschung zu unterdrücken. Es war schließlich nie sehr wahrscheinlich gewesen. Sie würden sich einfach ohne seine Hilfe durch den Fall durchkämpfen müssen.
Carol ging wieder zum Whiteboard hinüber, wo der Rest des Teams sich versammelte. Sie bewunderte unwillkürlich den erlesenen Schnitt von Staceys Kostüm. Es war offensichtlich maßgeschneidert und teuer. Sie war sich dessen bewusst, dass der Nerd des Teams unabhängig von ihrer Arbeit bei der Polizei eine Softwarefirma besaß. Carol hatte nie zu genau nachgefragt, denn sie war der Überzeugung, dass alle ein Recht auf ihr Privatleben hatten, fernab von dem Mist, mit dem sie bei der Arbeit konfrontiert waren. Aber schon allein aus Staceys Garderobe war klar ersichtlich, dass ihr Einkommen alles in den Schatten stellte, was die anderen hier verdienten. Eines Tages würde Sam Evans die fast nicht wahrnehmbaren Zeichen bemerken, dass Stacey verrückt nach ihm war. Wenn der oberflächliche Sam das mit ihrem Kapitalwert kombinierte, würde er nicht mehr zu halten sein. Aber so wie es aussah, wäre Carol dann längst nicht mehr hier. Ein Drama, das sie allerdings gern verpassen würde.
Paula räusperte sich und straffte die Schultern. Es war nichts Maßgeschneidertes an ihren zerknitterten Jeans und dem abgetragenen braunen Pullover, den sie schon angehabt hatte, als sie am Abend zuvor Carol abgeholt hatte. »Wir wurden gestern
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