Vergeltung
Abend von der Northern Division gerufen. Die Leiche einer noch nicht identifizierten Frau wurde in einem leeren Lagerhaus im Gewerbegebiet Parkway gefunden.« Sie hängte zwei Fotos ans Whiteboard, eines vom ganzen Tatort mit dem gekreuzigten Körper in der Mitte, das andere vom Gesicht der Frau. »Wie ihr seht, wurde sie an ein Holzkreuz genagelt, das dann an der Wand aufgerichtet wurde. Umgekehrt. Grauenhaft, aber das allein wäre wahrscheinlich nicht genug, um uns ins Boot zu holen.«
Sie hängte drei weitere Fotos an die Tafel. Auf zweien waren tätowierte Handgelenke zu erkennen. Das dritte hätte ein beschrifteter Stofffetzen sein können. Die Buchstaben auf allen drei Bildern bildeten das Wort ›MEINE‹. Paula wandte sich zu ihren Kollegen um. »Was es zu einem Fall für uns macht, ist, dass dies anscheinend Nummer drei ist. Das Tattoo auf dem Handgelenk verbindet sie. Das und die Tatsache, dass sie alle im Einzugsgebiet der Northern Division gefunden wurden, wo man nicht unbedingt erwarten würde, auf tote Prostituierte zu stoßen.«
»Warum nicht?« Detective Chris Devine war das Mitglied des Teams, das am wenigsten mit den Feinheiten der sozialen Verhältnisse in Bradfield vertraut war, da sie ursprünglich von der Londoner Met heraufgekommen war.
»Der größte Teil der Straßenprostitution spielt sich um Temple Fields im Stadtzentrum ab. Auch der größte Teil der Geschäfte in Wohnungen läuft dort«, erklärte Kevin. »Es gibt ein paar Stellen an den wichtigsten Straßen der Stadt, aber Northern ist eigentlich im Großen und Ganzen ziemlich sauber.«
»Meine Kontaktperson bei Northern ist ein Detective Sergeant Franny Riley«, berichtete Paula. »Er sagte mir, dass es in letzter Zeit einen Krisenherd um die Baustelle für das neue Krankenhaus herum gibt. Etwa ein halbes Dutzend Frauen arbeiten in der Gegend, wo die Arbeiter ihre Autos abstellen. Er meint, es seien hauptsächlich Osteuropäerinnen, wahrscheinlich von Menschenhändlern reingebracht. Aber unsere ersten beiden Opfer waren Frauen aus der Gegend dort, hatten also vielleicht nichts damit zu tun.« Ein weiteres Foto, diesmal ein verbrauchtes Gesicht mit eingesunkenen Augen, hohen Wangenknochen und fest zusammengepressten Lippen. Niemand sah auf einem Polizeifoto gut aus, aber diese Frau wirkte besonders verbittert. »Das erste Opfer, Kylie Mitchell, dreiundzwanzig Jahre alt. Cracksüchtig. Fünfmal wegen öffentlicher Aufforderung zur Unzucht verurteilt, einmal wegen Besitz einer geringen Menge von Betäubungsmitteln. Sie hat hauptsächlich im Randgebiet von Temple Fields gearbeitet, aber sie wuchs in der Hochhäusersiedlung draußen bei Skenby auf, und das ist mitten im Gebiet von Northern, Chris. Vor drei Wochen wurde sie erdrosselt unter der Überführung der Umgehungsstraße abgelegt.« Paula nickte in Richtung Stacey. »Stacey ist dabei, die Dateien in unser Netzwerk einzustellen.«
Über Staceys Gesicht huschte kurz ein Lächeln, aber jeder, der auch nur blinzelte, hätte es verpasst. »Sie werden am Ende der Besprechung zur Verfügung stehen«, erklärte sie.
»Kylies Leben nahm den üblichen deprimierenden Verlauf. Schulabbrecherin mit einem Hang zum Partymachen. Bald stieg sie um auf Sex für Drogen, dann weiter zur Straßenprostitution, um ihre Crackabhängigkeit zu finanzieren. Sie bekam ein Kind, als sie zwanzig war, das sofort in Pflege gegeben und sechs Monate später adoptiert wurde.« Paula schüttelte den Kopf und seufzte. »Was das Geschäft mit Sex betrifft, war Kylie unterste Schublade. Sie war an dem Punkt angelangt, wo es kein Zurück mehr gab. Keine feste Unterkunft, kein Zuhälter, der sie schützte. Leichte Beute für jemanden, der auf die schlimmste Art von Nervenkitzel aus war.«
»Wie oft haben wir diese Story schon gehört?« Sam klang genauso gelangweilt, wie er aussah.
»Zu oft. Glauben Sie mir, Sam, niemand würde sich mehr freuen als ich, wenn wir sie nie mehr hören müssten«, sagte Carol. Das war eine deutliche Zurechtweisung. »Was wissen wir darüber, wo sie sich zuletzt aufhielt, Paula?«
»Nicht viel. Nicht einmal die anderen Mädchen passten auf sie auf. Sie war bekannt dafür, dass sie für sich selbst sorgte. Sie machte alles mit, es war ihr egal, ob mit oder ohne Kondom. Die anderen Mädchen hatten es aufgegeben mit ihr. Oder sie hatte es mit ihnen aufgegeben, das ist nicht ganz klar. In der Mordnacht wurde sie gegen neun auf dem Campion Way gesehen, im Randgebiet von Temple Fields. Wir
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