Vergeltung

glauben, dass zwei der Angestammten sie dort von ihrem Platz vertrieben. Und das war’s. Nichts mehr, bis sie unter der Überführung gefunden wird.«
    »Was ist mit Spuren?«, fragte Kevin.
    »Spermaspuren aus vier verschiedenen Quellen. Keine davon in der Datenbank, das wird also nur etwas bringen, wenn wir jemanden im Visier haben. Darüber hinaus haben wir nur das Tattoo. Nach dem Todeseintritt gemacht, deshalb gab es keine Entzündung.«
    »Heißt das, dass wir nach einem Tätowierkünstler suchen? Jemand mit professionellem Können?«, fragte Chris.
    »Dazu müssen wir uns die Meinung eines Spezialisten holen«, antwortete Carol. »Und wir müssen herausfinden, wie leicht es ist, sich eine Tätowiermaschine zu beschaffen. Müssen mit Anbietern reden und sehen, ob wir eine aktuelle Kundenliste bekommen können.«
    Sam stand auf, um die Fotos der Tätowierungen genauer zu studieren. »Es scheint mir nicht so fachmännisch auszusehen. Aber andererseits könnte das auch Absicht sein.«
    »Zu früh für Vermutungen«, meinte Carol. »Wer hat sie gefunden, Paula?«
    »Zwei Teenager. DS Riley meint, sie waren auf der Suche nach einem ungestörten Ort, um eine Flasche Cider runterzukippen. Da unten steht ein alter, ausgeräumter Van, die Kids dort haben sonst nichts anderes als Jugendtreff. Sie wurde vorn reingestoßen. Wo der Motor wäre, wenn es noch einen gäbe. Man hat nicht versucht, sie zu verstecken. Die Kollegen von Northern haben schon die Tür-zu-Tür-Befragungen in der Gegend dort gemacht, aber die Häuser sind gute fünfzig Meter entfernt und stehen mit der Rückseite zum Tatort. Hat nichts gebracht.«
    »Versuchen wir’s noch mal«, sagte Carol. »Sie wurde schließlich nicht aus dem Weltraum dorthin gebeamt. Paula, setz dich deswegen mit DS Riley in Verbindung.«
    »Wird gemacht.« Paula befestigte ein weiteres Polizeifoto an der Tafel. »Das ist Suzanne Black, genannt Suze. Siebenundzwanzig Jahre alt. Ein halbes Dutzend Verurteilungen wegen Aufforderung zur Unzucht. Nicht ganz so weit abgerutscht wie Kylie. Suze teilte sich eine Wohnung in einem der Häuserblocks in Skenby mit einem Strichjungen, Nicky Reid. Nicky sagt, sie hat sich ihre Freier im Flyer geholt …«
    »Was ist der Flyer?«, unterbrach Carol.
    »Die Kneipe hinterm Flughafen, beim Ladebereich. Es ist so eine Art altmodische Raststätte. Stammt aus der Zeit, als der Flughafen während des Krieges nichts weiter als das Flugfeld Brackley Field war«, erklärte Kevin. »Keine Kneipe, wo man sonntags mit Frau und Kindern hingehen würde, aber bisschen besser als’n Bumslokal.«
    »Nicky meint, sie hatte ein paar Stammkunden«, fuhr Paula fort. »Hauptsächlich Lagerarbeiter vom Flughafen. Wie Kylie nahm sie Drogen, aber sie bevorzugte Heroin. Nicky sagt, sie hätte es schon jahrelang genommen und sei damit ziemlich gut klargekommen. Und genau wie Kylie hatte sie auch keinen Zuhälter. Er spricht von einer Abmachung, die sie seit langem mit ihrem Drogendealer hatte; wenn jemand sie bedrängte oder ihr Geschäft schädigte, würde er sich die betreffende Person vornehmen. Sie war eine gute Kundin.« Paulas Mundwinkel hob sich leicht zu einem ironischen Lächeln. »Und sie brachte ihm auch weitere Interessenten.«
    »Wann hat Nicky sie zuletzt gesehen?«, wollte Carol wissen.
    »Vor zwei Wochen. Sie verließen gemeinsam die Wohnung. Er ging Richtung Temple Fields, sie zum Flyer. Als er am nächsten Tag aufstand, war sie nicht da. Kein Anzeichen, dass sie inzwischen da gewesen war. Er wartete zwei Tage, falls sie mit einer ihrer Gefährtinnen oder einem Stammkunden zusammen war, obwohl das für sie ungewöhnlich gewesen wäre.« Paula schüttelte leicht belustigt den Kopf. »So wie Nicky das beschreibt, hatten sie sich ja ein wirklich gemütliches Zusammenleben eingerichtet.«
    »Wer weiß?« Sam klang verächtlich.
    »Also, am dritten Tag versuchte Nicky, Suze als vermisst zu melden. Die nächste Polizeistation ist zufällig das Präsidium von Northern. Zu behaupten, dass sie kein Interesse zeigten, wäre eine starke Untertreibung. Nicky ist bei der Aufnahme ausgerastet und wurde fast selbst verhaftet. Aber getan wurde nichts. Die Leiche wurde vor vier Tagen während eines Angelwettbewerbs im Brade-Kanal entdeckt. Laut Pathologe wurde sie ertränkt, aber nicht im Brade.«
    Paula betätigte einen Knopf an der Fernbedienung, und ein Videobild erschien auf dem Whiteboard. Dr. Grisha Shatalov, der Pathologe, angetan mit seiner OP-Kleidung,