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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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der Einweisung? Sollte er nicht eine Einweisung oder so was von einem Sozialarbeiter bekommen?«
    Der mit dem Igelschnitt drückte an einem Pickel herum, besah sich seine Fingernägel und zuckte wieder mit der Schulter. »Nicht unser Problem, oder? Wir haben den Stellvertreter des Chefs informiert, und er sagte, es geht in Ordnung. Er meinte, Collins gibt keinen Anlass zur Sorge.« Er schaute Vance an. »Geht das klar, Collins? Sonst wird das Resozialisierungsprogramm gestrichen.«
    Vance erwiderte einfach sein Achselzucken. »Wo ich jetzt schon mal da bin, kann ich ja auch gehen.« Er war ziemlich zufrieden damit, wie das herauskam. Er fand, es war eine recht gute Imitation von Collins’ Art zu sprechen. Und vor allem klang er überhaupt nicht wie er selbst. Er steckte die Hände in die Taschen, genau wie er es schon tausendmal an Collins beobachtet hatte, und krümmte leicht die Schultern.
    »Ich will festhalten, ich find die Sache nicht gut, egal, was der Stellvertreter dazu sagt«, nörgelte Jarvis, während er Vance durch das hohe Drehkreuz steuerte, das zur Welt nach draußen führte. Dann stieß er die Tür auf, und Vance folgte ihm auf einen geteerten Platz neben der Fahrbahn. Am Straßenrand stand mit laufendem Motor ein abgenutzter Skoda. Vance roch die stinkenden Abgase, die der frischen Morgenluft eine widerliche Note verliehen. Diese Kombination hatte er schon lange nicht mehr gerochen.
    Jarvis öffnete die Beifahrertür und beugte sich hinein. »Sie fahren ihn zu Evesham Fabrications, klar? Sonst nirgends hin. Egal, was er sagt, dass er einen verdammten Herzinfarkt hat und ins Krankenhaus muss oder dass er sich in die Hosen scheißt, wenn er nicht sofort zu einer Toilette kommt. Tun Sie’s nicht. Nehmen Sie keine zweihundert Pfund an. Evesham Fabrications!«
    Der Fahrer war perplex. »Sie müssen sich mal beruhigen, Kumpel«, riet er. »So bekommen Sie noch’n Schlaganfall. Ich kenne schon meine Pflicht.« Er reckte den Kopf, damit er an Jarvis vorbeisehen konnte. »Steigen Sie ein, Kollege.«
    »Vorne rein, damit dich der Fahrer im Auge behalten kann.« Jarvis trat zurück, damit Vance auf den Beifahrersitz schlüpfen konnte. Er griff mit seiner Prothese nach dem Sicherheitsgurt und hoffte, dass seine Unbeholfenheit sich durch die lange Zeit erklären ließ, seit er zuletzt in einem Auto gesessen hatte. »Dass mir keine Klagen kommen, Collins«, drohte Jarvis und schlug die Tür zu. Im Wagen roch es nach synthetischem Tannenduft, der sich mit dem Geruch von Kaffee vermischte.
    Der Taxifahrer, ein leicht überdrehter Asiate in den Dreißigern, lachte, als er anfuhr. »Der hat ja gute Laune.«
    »Hat nichts mit seiner Laune zu tun, er ist immer so«, antwortete Vance. Sein Herz raste. Er spürte, dass sich an seinem Kreuz Schweiß sammelte. Es war unfassbar. Er hatte es durch das Tor geschafft. Und mit jeder Minute, die verging, entfernte er sich weiter von der Vollzugsanstalt Oakworth und kam seinem Traum von Freiheit näher. Zugegeben, es lagen noch jede Menge Hindernisse zwischen ihm und dem Steak, aber den schwierigsten Teil hatte er hinter sich. Er machte sich klar, dass er schon immer geglaubt hatte, einen Platz an der Sonne zu verdienen. Die Jahre im Gefängnis waren einfach eine Unterbrechung seines natürlichen Daseinszustands gewesen, kein Ende. Das Blatt wendete sich jetzt wieder zu seinen Gunsten.
    Als Vance sich nun umschaute, fühlte er sich in seiner Überzeugung bestätigt. Der Wagen hatte eine automatische Gangschaltung, was ihm das Leben sehr erleichtern würde. Seit seiner Verhaftung hatte er keinen Wagen mehr gefahren, und sich ans Steuer zu setzen würde schwer genug werden, auch ohne Gangschaltung. Vance entspannte sich etwas und lächelte, als er von Hecken umgebene Ackerflächen mit Frühlingsgras erblickte. Fette Schafe grasten dort, und die meisten ihrer apathischen Lämmer hatten schon die spielerische Phase des Herumtollens hinter sich. Sie kamen an Obstwiesen vorbei, Reihen kurzstämmiger Bäume mit Blüten, die schon anfingen, ein wenig verwelkt auszusehen. Die Straße war kaum breit genug, dass zwei Autos aneinander vorbeikommen konnten. Die Idealvorstellung eines Ausländers vom ländlichen England.
    »Muss eine nette Abwechslung für Sie sein, mal rauszukommen«, sagte der Taxifahrer.
    »Das können Sie sich gar nicht vorstellen«, antwortete Vance. »Ich hoffe, dass das jetzt nur der Anfang ist. Es ist wirklich eine Erneuerung für mich gewesen. Ich bin heute ein

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