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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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er auf den bequemen Stuhl hinter seinem Schreibtisch sank. »Ich verstehe immer noch nicht, warum ich mich mit ihr herumstreiten musste. Welchen Sinn hat es, so zu tun, als hätten wir keinen Serienmörder, der sich austobt? Warum können wir nicht einfach damit herausrücken? Offenlegen, dass Ihr Team an dem Fall arbeitet?« Er nahm einen Stift und begann, abwechselnd mit dem oberen und dem unteren Ende auf den Schreibtisch zu tippen. Sie bemerkte eine leichte Vertiefung an seinem Finger an der Stelle, wo ein Ehering sitzen würde. »Das würde die Leute beruhigen.«
    Carol drehte sich herum und saß ihm jetzt gegenüber. Man musste Reekie besänftigen. Diese ewige Taktiererei war ihr verhasst. »Sie sagten es ja bereits. Das würde das Medieninteresse enorm anstacheln. Was in zweifacher Hinsicht ein Problem ist. Erstens ist es immer schwieriger, eine Ermittlung durchzuführen, wenn einem die Weltpresse im Nacken sitzt. Und heutzutage zieht der schwächste Anhaltspunkt, dass es ein Serienmörder sein könnte, einen derartigen Medienrummel nach sich, dass es den Ermittlern das Leben unmöglich schwermacht. Die Gier der Medien verlangt rund um die Uhr nach einer wahnsinnig genauen Überprüfung aller Einzelheiten, für die wir schlicht und ergreifend keine Zeit haben. Und zweitens: Diese Art von Mörder genießt die öffentliche Aufmerksamkeit. Er will ein Star sein. Er will im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Wenn man ihm das nimmt, dann bereitet ihm das Stress. Und Stress provoziert Fehler. Und durch Fehler kriegen wir ihn.«
    »Sie haben leicht reden. Sie mussten sich nicht da draußen hinstellen und lügen.« Er nahm sein nerviges Spielchen mit dem Stift wieder auf. Carol hätte am liebsten wie eine strenge Lehrerin dem eingeschnappten kleinen Schuljungen das Spielzeug entrissen. Mit einiger Schwierigkeit schaffte sie es, der Versuchung zu widerstehen.
    »Sie mussten ja nicht lügen. Durften nur nicht die ganze Geschichte ausplaudern. Das Einzige, was mich an dieser Vorstellung erleichtert hat, war, dass ihre Quelle nicht im Zentrum der Ermittlungen sitzt.«
    Reekie nickte. »Ja, wahrscheinlich. Wenn ihr Informant dort wäre, hätte sie über die Tattoos Bescheid gewusst, statt ganz verschämt von einem ›Zeichen‹ zu sprechen.«
    »Wir sind also fürs Erste aus dem Schneider.« Carol erhob sich. Reekie machte keine Anstalten, sie mit Handschlag zu verabschieden oder gar aufzustehen. Es war deutlich, dass er noch angeschlagen war von seinem Beinahezusammenstoß mit Penny Burgess. »Lassen Sie es mich wissen, wenn Ihre Leute irgendwas über ihre Identität rausfinden.«
    »Sobald wir etwas erfahren, teilen wir es Ihnen mit. Lassen Sie uns auf Tuchfühlung bleiben in dieser Sache, Carol. Wir wollen nicht, dass uns der Fall davonschwimmt.«
    Carol drehte sich um und ging auf die Tür zu. Sie mussten immer das letzte Wort haben, um Carol daran zu erinnern, wer den höheren Rang hatte. In solchen Momenten wusste sie genau, wieso sie Tony Hill schätzte.

17
    T ony Hill reagierte einfach anders als die meisten anderen Menschen, und dessen war er sich auch bewusst. Zum Beispiel was das Gedächtnis anging. Obwohl er schon so lange mit Carol Jordan Kaffee trank – er wollte gar nicht wissen, wie viele Jahre –, stand er doch manchmal in Cafés an der Theke oder bei sich zu Haus in der Küche und musste die Datenbank in seinem Kopf durchgehen, bis er sich erinnerte, ob sie Espresso oder Cappuccino mochte. Aber er war kein zerstreuter Professor. Er konnte sich an das typische Verhalten eines jeden Serientäters erinnern, den er je getroffen hatte, sowohl in seiner Eigenschaft als Profiler als auch als Klinikarzt. Jedes Gedächtnis war selektiv, das wusste er. Die Funktionsweise seines Gedächtnisses war jedoch ungewöhnlich.
    Als er sich daranmachte, eine Risikoanalyse für Jacko Vance zu erarbeiten, überraschte es ihn deshalb nicht, dass er keine Erinnerung daran hatte, schon einmal offiziell ein Profil von ihm erstellt zu haben. Nachdem Carol gegangen war, schloss er die Augen und versuchte, sich diesen Bericht ins Gedächtnis zu rufen. Als nichts kam, schlug er die Augen auf und wurde sich klar, dass seine Jagd auf Vance so außerhalb der normalen Vorgehensweise verlaufen war, dass er sich seinerzeit überhaupt keine Notizen gemacht hatte. Natürlich war die Fahndung nach Vance ungewöhnlich gewesen insofern, als es sich um keine reguläre Polizeiermittlung gehandelt hatte. Sondern sie hatte sich aus einer

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